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DFB-Affäre: Ex-Schiedrichter Hellmut Krug spricht erstmals bei SPORT1

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DFB-Affäre: Ex-Schiedrichter Hellmut Krug spricht erstmals bei SPORT1

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Nach DFB-Affäre: Jetzt spricht Krug

Lange schwieg er. Jetzt spricht Ex-Referee Hellmut Krug erstmals bei SPORT1 über sein DFB-Aus, den früheren Verbands-Boss Reinhard Grindel und den Videobeweis.
Ex-Schiedrichter Hellmut Krug spricht im ersten Interview seit seinem Aus 2017 über die Vorwürfe der Vetternwirtschaft und erklärt warum ihn Reinhard Grindel im Stich gelassen hat.
Reinhard Franke
Reinhard Franke

Die DFB-Affäre erschütterte 2017/2018 den deutschen Fußball.

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Ein handfester Schiedsrichter-Streit beschäftigte den Verband über Monate. Der Unparteiische Manuel Gräfe hatte den Schiedsrichter-Bossen Herbert Fandel und Hellmut Krug öffentlich systematisches Mobbing, Vetternwirtschaft und schlechten Führungsstil vorgeworfen.

Manuel Gräfe ist am Sonntag ab 11 Uhr zu Gast im CHECK24 Doppelpass - LIVE im TV auf SPORT1, im LIVESTREAM und auf YouTube

Krug verlor schließlich seinen Posten als Leiter des Videobeweis-Projekts. Seit dem 1. September 2018 unterstützt er als freier Mitarbeiter die Schweizer-Fußball-Liga und den Verband bei der Einführung des Videobeweises. Als Projektleiter ist Krug zuständig für die Ausbildung der Schiedsrichter. 

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Seit seinem DFB-Aus hat er geschwiegen. Jetzt empfing der 62-Jährige SPORT1 bei sich zu Hause und sprach erstmals über die schwere Zeit, Ex-DFB-Boss Reinhard Grindel und den Videobeweis.

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SPORT1: Herr Krug, es ist Ihr erstes Interview seit dem DFB-Aus 2017. Wie geht es Ihnen?

Hellmut Krug: Es geht mir wieder sehr gut. Ich bin zufrieden und glücklich, obwohl ich eine schwere Zeit hinter mir habe, die für mich und meine Familie sehr belastend war. Für mich war das ein Spießrutenlaufen. Gegen mich ist eine regelrechte Verleumdungskampagne initiiert worden, die von einem Teil der Medien ohne Recherche übernommen wurde. Das Resultat war letzten Endes, dass ich meine Tätigkeit beim DFB aufgeben musste. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich das alles verkraftet hatte. Und es ging mir erst wieder besser, als Mitte Juni eine Anfrage des Schweizer Fußball-Liga kam, ob ich eventuell bereit sei, den Schiedsrichterbereich in der Schweiz bei der Einführung des Videobeweises zu unterstützen.

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SPORT1: Am 10. November 2017 wurden sie in Deutschland nach einem Manipulationsvorwurf zugunsten von Schalke 04 in einem Spiel gegen den VfL Wolfsburg als Projektleiter abgesetzt...

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Krug: Der Vorwurf der Manipulation war der negative Höhepunkt und Abschluss der Kampagne gegen mich. Dass ich, nachdem ich Jahrzehnte lang bis auf höchster Ebene als Schiedsrichter auf dem Platz stand, versucht hätte, in einem Videoraum Spiele zu manipulieren, dieser Vorwurf war sowas von absurd, da fehlen mir heute noch die Worte.

SPORT1: Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Krug: Ich hatte einfach den richtigen Zeitpunkt verpasst, mich gegen diese Vorwürfe zu wehren. Direkt nach dem Erscheinen des ersten Artikels hätte es Sinn gemacht. Aber intern mit meinen DFB-Kollegen war abgestimmt, nicht zu reagieren, mit dem Hinweis: 'Lass es besser sein. Das steht jetzt einmal da und dann ist das Thema erledigt.' Da hatten sich alle gründlich getäuscht. Es wurde eine regelrechte Lawine losgetreten und ich hatte den Eindruck, dass in jeder Woche ein neuer Artikel zu meinen Lasten erschien. Hinzu kam, dass in diesem Zusammenhang auch das Thema Videobeweis sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und für alle Dinge, die in den ersten Wochen nicht funktionierten, wurde ich in der Öffentlichkeit als Sündenbock hingestellt. Sicher habe ich auch Fehler gemacht, das ist bei einem Projekt, das für alle völliges Neuland darstellt, auch unvermeidlich. Aber ich war bei weitem nicht für alle Fehler verantwortlich. Dass zum Beispiel die komplette Technik schwierig war, lag an anderen Partnern.

SPORT1: Welche Fehler haben Sie denn gemacht?

Krug: Das ist rückblickend immer schwer zu sagen. Dinge, für die ich anfangs verantwortlich gemacht wurde - ohne tatsächlich dafür verantwortlich zu sein -, waren in erster Linie technische Fragen. Die Technik war in der Anfangsphase sehr kritisch. An den ersten Spieltagen fiel in einigen Spielen die Kommunikation völlig oder zeitweise aus, wir hatten verschiedentlich Bildausfälle, und die Abseitslinien funktionierten von Anfang an nicht. Diese technischen Probleme überlagerten vollkommen positive Erkenntnisse, die es durchaus auch gab. Unterschätzt hatten wir auch, dass die Umstellung von der Offline-Phase, in der wir quasi trocken ein Jahr lang sämtliche Abläufe trainiert haben, hin zur Live-Phase ein so gewaltiger Sprung werden würde.

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SPORT1: Was würden Sie heute anders machen?

Krug: Das ist schwer zu sagen. Wir stehen ja jetzt in der Schweiz auch vor der Einführung des Videobeweises in der neuen Saison. Die Situation heute in der Schweiz ist auch schwer zu vergleichen mit der damals in Deutschland, weil wir, als wir in der Bundesliga gestartet sind, auch weltweit eine Art Vorreiter-Rolle übernommen hatten. Wir befanden uns in einer zweijährigen Testphase, die die FIFA angesetzt hatte. Testphase heißt aber auch, dass wir einiges ausprobieren mussten. Diese Dinge brauchen wir heute nicht mehr zu testen. Wir konnten viele Erfahrungen sammeln, wissen heute sehr viel besser, was wie funktioniert. Aber das alles schließt nicht aus, dass es andere Fehler geben könnte. Wir hoffen natürlich auf einen weitgehend reibungslosen Start in der Schweiz, unter anderem auch dass wir im technischen Bereich vor keine oder zumindest keine allzu großen Probleme gestellt werden. Ein in jeder Hinsicht reibungsfreier, komplikationsloser Start wäre natürlich von großer Bedeutung. Dann wird man uns auch den einen oder anderen Fehler, zu dem es zwangsläufig irgendwann einmal kommen wird, verzeihen.

SPORT1: Haben Sie damals ihre Rolle als Supervisor missbraucht?

Krug: Nein, natürlich nicht. Wir hatten die Rolle des Supervisors seinerzeit so definiert, dass dieser beratend tätig wird, wenn die Video-Assistenten in sehr schwierigen Fällen Unterstützung brauchen. Gerade in der Anfangsphase haben wir das für dringend geboten gehalten. Wir haben aber nie gesagt, 'Du musst diese oder jene Entscheidung treffen'. Damit hätten wir unsere Kompetenzen überschritten. Im Gegenteil, wir haben den Schiedsrichtern gegenüber immer betont: 'Ihr müsst eine Entscheidung treffen, nicht wir. Ihr steht am Ende in der Öffentlichkeit und euer Name wird mit der Entscheidung in Verbindung gebracht.' Heute würden wir nach diesen Erfahrungen als Supervisor nur noch eingreifen, wenn eine falsche Anwendung der Vorgaben droht.

SPORT1: Manuel Gräfe hat Herbert Fandel und Ihnen zu jener Zeit Vetternwirtschaft vorgeworfen. Warum haben Sie sich nicht gewehrt?

Krug: Zum einen habe ich die Vorwürfe zunächst nicht allzu ernst genommen, weil ich mit den Vorwürfen überhaupt nichts anfangen konnte, sie für mich jeder Grundlage entbehrten. Zum anderen habe ich dann, als die Vorwürfe nicht aufhörten, definitiv den Zeitpunkt verpasst, ab dem ich das hätte tun müssen. Unbegreiflich war für mich damals, dass ich keine Unterstützung bekam, weder von meinen damaligen Kollegen im Schiedsrichterausschuss noch vom damaligen DFB Präsident Grindel (trat am 2. April 2019 zurück, d. Red.). Dabei kannten alle meine hohen Ansprüche und die Qualität meiner Arbeit. Sie haben mich viele Male auf Schiedsrichter-Lehrgängen erlebt. Sie waren Gäste bei Schulungs- und Seminareinheiten auf Lehrgängen. Sie wussten, wie erfolgreich ich mit Schiedsrichtern über viele Jahre im Coaching gearbeitet habe. Von diesen Schiedsrichtern sind heute noch acht in der Bundesliga im Einsatz und gehören zu den besten. Fazit: Alle wussten, dass an dem Vorwurf 'Vetternwirtschaft' nichts dran ist. Und trotzdem habe ich keine Unterstützung erhalten.

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SPORT1: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Krug: Nein. Zunächst war ich irritiert, dann fassungslos. Dass die Kollegen nicht für mich eingetreten sind, hat mein Vertrauen schwer erschüttert. Ich habe lange nach Gründen gesucht und nur die Erklärung, dass ich einigen Personen wohl zu meinungsstark war. Ich habe nun einmal die Eigenart, offen und ehrlich meine Meinung zu sagen, wenn ich gefragt werde. Damit konnten ganz offensichtlich nicht alle umgehen. Auch der DFB Präsident setzte kein Zeichen. Er hätte meines Erachtens als mein Vorgesetzter die Pflicht gehabt, mich zu schützen, sich vor mich zu stellen und zu betonen, dass die Vorwürfe so nicht hingenommen werden können, solange sie nicht bewiesen sind. Und auch von der damals eingesetzten Ethik-Kommission fühlte ich mich nicht fair behandelt und unter Druck gesetzt. Grindel hat nicht einmal den Versuch unternommen, sich ein objektives Bild zu machen. Und auch auf die schriftliche Bitte um einen Gesprächstermin hat er nicht einmal reagiert. So etwas spricht Bände.

SPORT1: War das ein Grund für das Scheitern von Herrn Grindel? Die fehlende Nähe und der fehlende Einsatz für seine Mitarbeiter?

Krug: Das kann ich nicht beurteilen, dafür kenne ich ihn viel zu wenig. Ich habe nur einige wenige Gespräche mit ihm geführt und kann nur für mich sprechen. In meinem Fall ist er seiner Pflicht nicht nachkommen, die er als Verbandspräsident gehabt hätte.

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Grindel kam mehr oder weniger schicksalhaft an die Verbandsspitze des Deutschen-Fußball-Bundes. Nach der Affäre rund um das Sommermärchen 2006 brauchte der DFB eine Veränderung an der Verbandsspitze und fand diese nach zahlreichen Absagen in Schatzmeister Reinhard Grindel, der das Amt von Wolfgang Niersbach übernahm.
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SPORT1: Hat der Videobeweis trotz aller Querelen eine Zukunft?

Krug: Er ist ein Teil der Fußball-Zukunft. Das, was beim Thema Videobeweis angestoßen wurde, wird in den nächsten Jahren unverzichtbar sein. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass wir klare und offensichtliche Fehler nicht korrigieren können, während der TV-Zuschauer innerhalb weniger Sekunden dank einer bestimmten Kameraeinstellung, die der Schiedsrichter nicht hat, eine Fehlentscheidung sofort als solche identifizieren kann. Gerade im Bereich Handspiel gab es in der Vergangenheit immer wieder gravierende Fehler, zum Beispiel das Tor mit der "Hand Gottes" von Maradona bei der WM 1986 oder das Henry-Handspiel bei Irland-Frankreich, das dazu führte, dass Irland 2010 nicht zur WM fahren konnte. Es wird immer Situationen für einen Schiedsrichter geben, die er aus seinem Blickwinkel nicht beurteilen kann. Ein klares Handspiel, das für das Spiel entscheidend ist, muss geahndet werden. Alles andere ist einfach inakzeptabel in der heutigen Zeit. Deshalb wird der Videobeweis in Zukunft unverzichtbar sein.

SPORT1: Wie sehen Sie das deutsche Schiedsrichter-Wesen heute?

Krug: Das Thema Videobeweis löst in der Öffentlichkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Nationalverbänden, zuletzt auch in der Champions League, immer noch sehr viel Kritik aus. Ich habe manchmal den Eindruck, mehr Kritik als Wohlwollen. Es wird immer wieder unterschlagen, wie viele klare Fehlentscheidungen auf dem Platz heute korrigiert werden. In der Öffentlichkeit werden aber nicht die vielen positiven Ergebnisse diskutiert, sondern es ist immer nur von dem einem Prozent der Entscheidungen die Rede, die immer noch nicht korrekt sind. Abgesehen davon, dass diese Kritik häufig viel zu einseitig und negativ ausfällt: Es müsste sich jeder im Klaren darüber sein, dass wir beim Thema Videobeweis alle noch dazu lernen und uns alle noch in dieser Hinsicht entwickeln.

SPORT1: Inwiefern lernen alle noch dazu?

Krug: Das System kann noch gar nicht ausgereift sein. Wir sind auf dem Arbeitsfeld "Videobeweis" jetzt intensiv erst seit zwei bis maximal drei Jahren tätig. Wir haben damit oberflächlich betrachtet zwar lange geübt, es wird aber gerne vergessen, dass alle an diesem Projekt Beteiligten völliges Neuland betreten haben. Auch war die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit überwiegend falsch oder zumindest zu hoch. Wir haben eingangs immer wieder betont, dass wir auch in Zukunft keine hundertprozentige Genauigkeit bei allen Entscheidungen haben werden. Fehlentscheidungen, auch vom Video-Assistenten selbst, sind und bleiben unvermeidlich. Und wer vermag jederzeit zu sagen, ob eine Entscheidung unzweifelhaft falsch oder richtig ist? Es spielen immer auch subjektive Betrachtungsweisen eine Rolle, die in eine Entscheidung einfließen. Daher ist es in vielen Fällen ausgeschlossen, eine Entscheidung festzulegen, mit der alle einverstanden sind. Dessen ungeachtet haben wir mehr Gerechtigkeit auf dem Platz, weil die "klaren und offensichtlichen Fehler" korrigiert werden.

SPORT1: Trotzdem plädieren viele für die Abschaffung des Videobeweises?

Krug: Wenn man jetzt zehn Spiele lang den Videobeweis für die Bundesliga aussetzen würde, dann wäre das Geschrei groß. Es vergeht keine Partie in der Europa League, in der nicht beklagt wird, dass es dort keinen Videobeweis gibt. Auch beim Spiel der Eintracht in Lissabon gab es ein Tor für die Frankfurter und der Kommentator erwähnte sofort, dass man keinen Videobeweis habe. Man muss dem Thema Videobeweis einfach Zeit geben. Zeit für die Entwicklung - auf nationaler und auf internationaler Ebene. Es ist schwierig und eine große Herausforderung ist, den "klaren und offensichtlichen" Fehler in einer Form zu definieren, dass dies alle nachvollziehen können und einverstanden sind. Doch das muss nicht nur national, sondern sogar weltweit unser Ziel sein.

SPORT1: Haben Sie sich manchmal gewünscht, den Videobeweis wieder abzuschaffen?

Krug: Niemals. Der Videobeweis wird zukünftig zum Fußball fest hinzugehören. Die Personen, die sich heute über den Videobeweis beschweren und ihn verdammen, sind genau diejenigen, die ihn nach Abschaffung des Videobeweises bei einer klaren Fehlentscheidung am lautesten fordern würden.

SPORT1: Wie bewerten Sie heute den Videobeweis? Wann wird das Thema ausgereift und perfekt sein?

Krug: Perfektion kann und sollte man meines Erachtens in allen Lebensbereichen anstreben. Aber zu 100 Prozent perfekt werden wir, wie in allen anderen Lebensbereichen, auch beim Videobeweis niemals sein. Es muss der Öffentlichkeit einfach klar sein, dass wir uns mitten in einem Lern- und Entwicklungs-Prozess befinden. Wir alle lernen täglich dazu, werden mit neuen Situationen und Anforderungen konfrontiert, deren Bewältigung nicht immer vollkommen reibungsfrei und ohne Diskussionen ablaufen wird.