Für den deutschen Radprofi Jannik Steimle ist ein Traum wahr geworden.
Steimle: Aus Oberliga zu Real Madrid
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Der 23-Jährige unterschrieb am vergangenen Montag einen Profivertrag über zwei Jahre beim Top-Team Deceuninck-Quick-Step und fährt damit ab sofort beim nicht nur selbsternannten "besten Team der Welt". Auf einen Schlag zählt Steimle zum Kreis der deutschen World-Tour-Fahrer und ist damit nominell auf Augenhöhe mit Namen wie Emmanuel Buchmann oder André Greipel.
Seit seiner Unterschrift befindet sich Steimle im Siegesrausch. Im Quick-Step-Trikot triumphierte er nacheinander bei den belgischen Tagesrennen Textielprijs Vichte und Koolskamp. Damit unterstrich er seine starke Form in dieser Saison.
Im SPORT1-Interview spricht der neue Shootingstar im deutschen Radsport über den Schritt zu Quick Step und welche Veränderungen er mit sich bringt. Außerdem verrät er seine Zweifel auf dem Weg zum Profivertrag.
SPORT1: Wie sind Ihre ersten Eindrücke von Team Quick Step?
Jannik Steimle: Ich durfte bereits einige Teamkollegen kennenlernen, wie zum Beispiel Yves Lampaert, Iljo Keisse oder Alvaro Hodeg. Es fühlt sich einfach an wie eine große Familie. Ich glaube, ich habe mir durch meine Leistungen bereits Respekt im Team erarbeitet und habe viele Nachrichten bekommen nach meiner Vertragsunterschrift.
SPORT1: In unserem ersten Gespräch haben Sie angedeutet, dass der Vertrag bei Quick Step nicht unbedingt das Ziel ist. Nun haben Sie dort für zwei Jahre unterschrieben. Wie kam es dazu?
Steimle: Ich habe das gesagt, um mir selbst keinen Druck und keine Hoffnungen zu machen, dass es doch klappt. Wenn ich mir selbst sage: "Ich bin jetzt als Stagiaire (französischer Begriff für einen Radrennfahrer als Praktikant in einem Radteam; Anm. d. Red.) dort und habe das drauf dort zu fahren." Wenn ich dann keinen Vertrag bekomme, macht dich das im Kopf kaputt. Daher bin ich die Sache entspannt angegangen, weil ich wusste, dass ich andere Angebote auf dem Tisch liegen habe.
SPORT1: Wie lief der Prozess bis zur Unterschrift ab?
Steimle: Die ersten beiden Rennen liefen besser als erwartet. Das hat mich selbst erstaunt, weil ich vorher noch am Zeh operiert werden musste. Das Team war vom ersten Tag an beeindruckt. Bei den Brussel Classics konnte ich wieder vorne mitfahren und danach ging es ganz schnell. Das Rennen war am Samstag und Sonntagnachmittag hat mir Teamchef Patrick Lefevere das Angebot gemacht. Das war vor eineinhalb Wochen und am vergangenen Montag habe ich unterschrieben.
SPORT1: Damit geht wohl ein Traum in Erfüllung. Gab es auf dem Weg zu diesem Ziel auch Zweifel?
Steimle: Ich war schon 2018 auf dem Sprung. Ich hatte damals viele Gespräche, aber nichts Konkretes. Ich habe mir selber gesagt: "Wenn ich es dieses oder nächstes Jahr nicht schaffe, höre ich auf." Denn mit den bisherigen Bedingungen hätte es keinen Sinn gemacht, weiterhin so viel Engagement reinzustecken. Dass es jetzt bei Quick Step geklappt hat, hätte ich mir nie erträumt.
Steimle: "Nun ruft Real Madrid an"
SPORT1: Ist dieser Wechsel aus Ihrer Sicht der größtmögliche Sprung?
Steimle: Wenn man es mit dem Fußball vergleicht, ist es wie wenn man bisher in der Oberliga gespielt hat und nun ruft Real Madrid an. Das Ganze ist schwer zu realisieren. Meine Familie, Freunde und Bekannte feiern und realisieren diese Entwicklung mehr als ich. Ich bin aktuell in so einer großen Blase. Ich lese jeden Tag Nachrichten über mich, da stellt man sich die Frage, ob das alles real ist, was um einen herum passiert. Vermutlich werde ich erst beim Teamtreffen alles realisieren. In Deutschland gibt es 21 oder 22 World-Tour-Profis und ich gehöre im nächsten Jahr dazu. Ich habe mir das alles selber erarbeitet ohne irgendwelche Verbindungen, sondern durch Ehrgeiz und Wille, aber auch durch den Rückhalt in meinem privaten Umfeld.
SPORT1: Haben Sie auch bereits Schattenseiten des Erfolgs kennengelernt?
Steimle: Durch die Erfolge in den vergangenen Wochen haben sich bereits genug Leute gemeldet, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Das sind die "Erfolgsfreunde". Die brauche ich nicht. Ich weiß, wer meine Freunde sind und versuche einfach, der zu bleiben der ich bin und mache so weiter wie bisher.
SPORT1: Was wollen Sie nun bei Quick Step erreichen?
Steimle: Vom Namen des Teams habe ich keine Wünsche mehr, weil ich hier im besten Team bin, in dem man landen kann. Da gibt es kein Optimum mehr. Jetzt möchte ich einfach die Vorteile nutzen, die ein solches Team bietet, mit all seinen Möglichkeiten. Persönlich möchte ich schon schnellstmöglich in die erste Reihe reinfahren, aber dabei mich nicht zu sehr unter Druck setzen. Ich weiß, dass ich das kann, aber ich möchte mich nicht unter Druck setzen, dass das im nächsten Jahr bereits passiert.
"Ich sehe mich als Klassiker-Fahrer"
SPORT1: Was verändert sich durch den Wechsel für Sie?
Steimle: Ich bleibe weiterhin zu Hause wohnen, trotzdem verändert sich alles. Mein Leben ist seit der Unterschrift bei Quick Step viel stressiger. Aber das ist schöner Stress, wenn man von den Leuten anerkannt wird. Es ist auch schön, in der Öffentlichkeit zu stehen, auch wenn man aufpassen muss, was man macht. Natürlich werde ich auch öfter in Belgien sein, wo das Team seinen Sitz hat, aber zu den Rennen werde ich jeweils fliegen.
SPORT1: Haben Sie vom Team bereits eine bestimmte Rolle zugewiesen bekommen oder gibt man Ihnen Raum zur Entwicklung?
Steimle: Eine bestimmte Rolle habe ich nicht zugeteilt bekommen. Ich sehe mich selbst als Klassiker-Fahrer für die Eintages-Rennen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich mich im Sprint noch verbessere. Das hängt aber ganz davon ab, wie das Team sich im kommenden Jahr präsentieren will. Ich werde die Rolle akzeptieren, die mir zugeteilt wird und werde versuchen, daraus das Beste zu machen.
SPORT1: Auf was freuen Sie sich am Meisten bei der neuen Mannschaft?
Steimle: Am liebsten wäre es mir, wenn die Saison bereits vorbei wäre und ich mit dem Team direkt ins erste Trainingslager fahren würde. Jeder Tag, den du in diesem Trikot trainierst ist einfach besonders. Ich freue mich auf das Teamtreffen Ende Oktober, wo ich alle kennenlernen werde. Alles ist viel größer, luxuriöser und professioneller. Quick Step ist das Nonplusultra von den Fahrern her und daher habe ich richtig Lust auf die nächsten zwei Jahre.
Drei Wochen Pause im Oktober
SPORT1: Bei der anstehenden Rad-Weltmeisterschaft sind Sie noch nicht dabei. Träumen Sie davon, eines Tages dort mitzufahren?
Steimle: Ich schaue, ob der BDR mich in Zukunft nominiert. Wenn ich meine Leistungen bringe, werden sie nicht um mich herumkommen. Für die kommende Saison habe ich ein klares Ziel vor Augen: die deutsche Meisterschaft in Stuttgart. Auf heimischem Boden möchte ich das Bestmögliche für mich herausholen.
SPORT1: Die aktuelle Saison geht dem Ende entgegen. Wie sehen Ihre Pläne für den Winter aus?
Steimle: Mitte Oktober werde ich das Rad für drei Wochen in die Ecke stellen und werde für ein paar Tage Urlaub machen. Außerdem werde ich die Zeit mit meiner Familie genießen und mich ein bisschen ausruhen. Gleichzeitig werde ich mich auch auf die Zeit freuen, die kommt. Am 9. Dezember fliegen wir nach Calpe (Spanien;Anm. d. Red.) zum Trainingslager bis zum 20. Dezember. Ich werde vielleicht schon früher runterfliegen, um in wärmeren Gefilden zu trainieren.
SPORT1: Trainieren Sie im Winter auch in Deutschland?
Steimle: Ich bin relativ wetterfest und trainiere gerne in Deutschland. Neben dem Radfahren trainiere ich dann auch im Fitnessstudio oder, wenn es die Witterung zulässt, beim Skilanglauf. Zur Not, wenn es gar nicht anders geht, trainiere ich auf der Rolle. Man findet immer ein paar Stunden am Tag, wo es trocken ist und wenn es kalt ist muss man sich einfach wärmer anziehen. Die Frühjahrsklassiker sind ja meistens auch nicht bei Sonnenschein und warmen Temperaturen.