Seine Fahrt in die Geschichtsbücher der Formel 1 vorbei an Michael Schumacher verschlug Lewis Hamilton fast ein bisschen die Sprache.
Hamilton-Rekord trotz Wadenkrampf
"Ich hätte mir niemals erträumt, dort zu stehen, wo ich hier und heute stehe", sagte der alte und wohl auch neue Formel-1-Weltmeister nach seinem Triumphzug beim Großen Preis von Portugal. Es war der 92. Grand-Prix-Sieg in Hamiltons außerordentlicher Karriere, damit verdrängte er Schumacher (91) in den Rekordlisten auf Platz zwei.
"Ich hab ihm schon am Nürburgring gesagt: Jetzt hol dir auch die 92, das hat er getan", sagte Ferrari-Fahrer Sebastian Vettel, der mit seinem zehnten Platz "natürlich nicht zufrieden" war, dem Sieger aber neidlos gratulierte: "Diese Konstanz über die Jahre muss man erstmal bringen. Glückwunsch, Lewis."
Rekord von Schumacher gebrochen
Der erste Dank des Champions galt seinen engsten Vertrauten. Innig umarmte Hamilton seine Physiotherapeutin Angela Cullen, seinen Renningenieur Peter Bonnington und seinen Vater Anthony, dann rang er nach Worten. "Vielen Dank an alle im Team, die immer weiter machen, die Messlatte immer höher legen, immer weiter pushen", sagte Hamilton: "Es ist unglaublich und inspirierend, mit euch zu arbeiten."
Niemals, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff bei Sky, habe man daran gedacht, "eines Tages Michaels Rekord brechen zu können. Es zeigt, wie außergewöhnlich Lewis und Michael in ihrer Zeit sind und waren." (Rennkalender 2020 der Formel 1)
Fast andächtig lauschte der Weltmeister auf dem Siegerpodium der britischen Hymne, er senkte den Kopf, seine linke Hand bedeckte sein Gesicht, er gab sich keine Mühe, seine Emotionen zu verbergen: "Das ist so ein großer Tag, ich muss das alles erstmal sacken lassen."
Bottas mit großem Rückstand
Das muss sicher auch Valtteri Bottas, der zwar auf Platz zwei für den vierten Mercedes-Doppelsieg der Saison sorgte, allerdings fast 26 (!) Sekunden Rückstand auf Hamilton hatte. Dritter wurde Max Verstappen (Niederlande) im Red Bull.
In der Gesamtwertung baute Hamilton mit seinem achten Sieg im zwölften Saisonrennen seine Führung auf Bottas aus: Mit 256 Punkten beträgt sein Vorsprung auf den Finnen bereits 77 Zähler.
Ein kurzer Regenschauer unmittelbar nach dem Start sorgte für zwei chaotische erste Runden. Hamilton, der am Start in Führung gegangen war, schonte seine Reifen und ließ sich hinter Bottas und den Spanier Carlos Sainz im McLaren auf Platz drei zurückfallen. Kurz vor dem Ende der ersten Runde übernahm Sainz die Führung und überraschte mit zwei Rundenbestzeiten, ehe seine Reifen abbauten.
Prost lobt Hamilton
In der sechsten Runde löste Bottas den Spanier an der Spitze ab, eine Runde später hatte er Hamilton im Nacken. Der Vorsprung schmolz in beachtlicher Geschwindigkeit, in der 20. Runde eroberte Hamilton ausgangs der Start- und Zielgeraden die Führung zurück.
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Hamilton flog davon, Bottas verlor pro Runde eine Sekunde auf seinen Teamkollegen, der auf den Tag genau vor fünf Jahren mit seinem Sieg beim US-Grand-Prix in Austin/Texas den dritten seiner mittlerweile sechs WM-Titel gewonnen hatte. Auch ein Wadenkrampf, der Hamilton acht Runden vor dem Ende massiv plagte, und den er sofort an den Mercedes-Kommandostand meldete, änderte am Endergebnis nichts.
"Ich kam gerade aus der letzten Kurve und hatte auf einmal das Gefühl, als würde sich ein Muskel zusammenziehen. Ich bin auf den Geraden ziemlich oft vom Gas gegangen, weil es richtig wehgetan hat. Ich musste es aber irgendwie durchstehen, denn ich hatte ja keine andere Wahl. Du kannst den Gasfuß nicht die ganze Runde lockerlassen", erklärte er im Anschluss.
Cleverness, Bauchgefühl, Talent: Hamilton ist in der Vollgasbranche eine absolute Ausnahmeerscheinung. "Es ist beeindruckend, was Lewis da macht", sagte der viermalige Weltmeister Alain Prost bei Sky: "Er hält die Motivation immer hoch, ist immer fokussiert, ich glaube, er kann noch eine ganze Menge gewinnen." (DATENCENTER: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Keine Probleme bei Hamilton
Während Bottas über Funk mehrfach die nachlassende Qualität seiner Reifen bemängelte, hatte Hamilton auch bei immer wieder einsetzendem leichten Regen keinerlei Probleme. Erst in der 45. von 66 Runden holte er sich mit bereits zwölf Sekunden Vorsprung auf Bottas neue Reifen, kam als Spitzenreiter zurück auf die Strecke und fuhr sofort die nächste Bestzeit.
"Es ist super schwierig da draußen", hatte der Weltmeister nach dem Qualifying noch gesagt - im Rennen hatte er dann leichtes Spiel.