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Haug empfiehlt Kampfgeist: "DTM nicht irgendeine Rennserie"

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Haug empfiehlt Kampfgeist: "DTM nicht irgendeine Rennserie"

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Haug empfiehlt Kampfgeist: "DTM nicht irgendeine Rennserie"

Exklusiv: Norbert Haug wünscht sich Kampfgeist von allen DTM-Beteiligten, um die Zukunft der DTM langfristig zu sichern: "Anpacken und Gas geben!"
Norbert Haug spricht im Interview über die Zukunft der DTM
Norbert Haug spricht im Interview über die Zukunft der DTM
© HDS

Kaum jemand kennt das Deutsche Tourenwagen Masters (DTM) so gut wie Norbert Haug: Mehr als zwanzig Jahre war er als Motorsportchef von Mercedes an den Rennstrecken dieser Welt anzutreffen und verantwortlich für die sportlichen Leistungen der Stuttgarter in der Formel 1, DTM, Formel 3, GT-Weltmeisterschaft und IndyCar. Während seiner Amtszeit, die 2013 endete, gewann die Marke mit dem Stern insgesamt 32 Titel in der DTM.

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Seit 2014 ist Haug, neben Beratertätigkeiten als freier Unternehmer in der mittelständischen Industrie, als Motorsportexperte beim DTM-Fernsehpartner 'ARD' aktiv und immer noch hautnah am Geschehen der deutschen Tourenwagenserie. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' erklärt der Motorsportexperte, warum es sich lohnt, nach dem angekündigten Mercedes-Ausstieg Ende 2018 um den langfristigen Fortbestand der DTM zu kämpfen und wen er im Rennen um den DTM-Titel 2017 vorne sieht.

Frage: "Wie geht es nach dem Mercedes-Ausstieg Ende 2018 mit der DTM weiter? Hat die DTM noch eine Zukunft?"Norbert Haug: "Um die Zukunft und Wichtigkeit der DTM treffend zu beschreiben, muss man sich vor Augen führen was die Vergangenheit und Gegenwart der DTM zu bieten hat: Etwas weltweit Einmaliges, als Alleinstellungsmerkmal im internationalen Motorsport - nicht mehr und nicht weniger. Dies aufzugeben wäre fatal - mit Folgen, die heute kaum abschätzbar sind. Tausende Arbeitsplätze hängen an der DTM und Millionen Zuschauer verfolgen sie: freiwillig und überwiegend mit Begeisterung. Die DTM ist nicht irgendeine Rennserie, sondern eine der nicht eben zahlreichen Spitzen-Rennserien im weltweiten Motorsport."

"Die werkseitig engagierten Hersteller Audi, BMW und Mercedes, die Serien-Sponsorenpartner ADAC, Aral, BOSCH, DEKRA, Deutsche Post und Hankook sind allesamt erstklassig und regelrechte Powerhäuser mit garantiert größtem Interesse am Fortbestand dieser Rennserie. Gerade in diesem Jahr bietet die DTM großartigen Sport und gibt den erwähnten Häusern genauso wie den Teamsponsoren eine klasse Plattform zur Präsentation ihrer Produkte und Unterhaltung ihrer Gäste samt Millionen von Zuschauern - vor Ort, vor dem Fernseher, im Internet oder im Radio. Denn wäre das nicht der Fall, wären sie allesamt nicht in der DTM engagiert."

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Frage: "Nach der Ausstiegsankündigung von Mercedes hieß es bei Audi und BMW, man prüfe die Optionen und die Situation in der DTM. Ein klares Bekenntnis zur DTM ist das nicht. Was glauben Sie, könnte es sein, dass Audi und BMW der DTM auch bald den Rücken kehren?"Haug: "Es ist bekannt, dass sich Audi, BMW und Mercedes mit Ihren Werksmannschaften und -teams bereits 2015 verbindlich für ein Engagement in der DTM bis zum Ende der Saison 2018 verpflichtet haben. 2017 sollte und soll das neue Konzept für die Jahre ab 2019 verabschiedet werden. Nach dem Ausstieg von Mercedes in 2019 nun mit neuen Vorzeichen. Aber eben auch noch mit einem Jahr Zeit, die Zukunft für die Jahre ab 2019 vielversprechend und kompetent zu strukturieren. Spitzen-Motorsport ist herausfordernd, und daraus bezieht er seinen Reiz für Millionen. Er braucht die schnellsten Leute nicht nur am Lenkrad und Gaspedal, sondern auch als Entwickler und Entscheider. Genau diese Mixtur und die mit ihr erzielten Premiumleistungen haben die DTM großgemacht und wurden über drei Jahrzehnte weiterentwickelt - diese Stärke kann jetzt nicht über Nacht abhandenkommen."

Frage: "Ist eine Zukunft der DTM mit nur zwei Herstellern denkbar?"Haug: "Unsere Häuser, Audi und Mercedes, haben das zwischen 2006 und 2011 sechs Jahre lang durchgezogen, mit großartigen Fahrern und Siegern wie dem zweimaligen Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen, bei Rennen, die sich hinter den hochklassigen von heute nicht verstecken müssen. Wenn Audi und BMW das wollen, dann geht das auch ein zweites Mal. Keine Ideallösung, fürwahr, aber hätten Audi und Mercedes damals den Mut und die unbeirrte und unbeirrbare Durchhaltekraft nicht gehabt, müssten wir heute dieses Interview nicht führen: es würde die DTM schon seit über zehn Jahren nicht mehr geben. Und auch die engagiertesten DTM-Kritiker, die es natürlich gibt und geben muss, würden sich schwer tun, die beschriebenen sechs Jahre mit Überzeugung als die schlechtesten in der DTM-Geschichte zu beschreiben."

Frage: "Der frühere DTM-Chef Hans Werner Aufrecht kritisierte, dass die Hersteller vor allem in Sachen Kostenreduzierung, Effizienz und Produktverbesserung ihre eigenen Ziele verfolgen und nicht die Ziele der DTM als Gesamtprodukt. Was sagen Sie als ehemaliger Motorsportchef dazu?"Haug: "Hans Werner Aufrecht ist ein Mann der klaren Worte und hat als Vater der DTM mit seinem ITR-Team, dem DMSB, den Herstellern und Sponsoren und seinem prächtigen HWA-Mercedes-Team nicht mit Worten zu beschreibende Leistungen für die DTM und für Mercedes vollbracht. Ich habe über 20 Jahre bestens mit HWA zusammengearbeitet. Für alle DTM-Engagierten galt dabei stets: Wir bauen gemeinsam die Auftrittsbühne und sind dabei kooperative und konstruktive Partner und keine Konkurrenten. Das sind wir aber sehr wohl anschließend und fahren auf der Rennstrecke raus, wer der Beste ist, und der Beste hat den Rennsieg und am Ende den Meistertitel geholt: Harte Rivalen auf der Rennbahn, konstruktive Partner mit gleichen Zielen neben selbiger. Ich wüsste nicht, was an diesem Rezept heute falsch sein sollte."

Frage: "Wenn Sie könnten, was würden Sie an der DTM ändern, um Audi und BMW vom Verbleib in der DTM zu überzeugen und neue Hersteller in die DTM zu locken?"Haug: "Der aktuell in dieser DTM-Saison präsentierte Sport ist ein sehr guter, der sich auch hinter der teilweise glorifizierten Vergangenheit nicht verstecken muss, soviel steht fest. Und ich gehöre eh nicht der Fraktion 'Früher war alles besser' an. Wir leben im Hier und Jetzt, und wenn man dabei auf eine überwiegend positive Vergangenheit zurückblicken kann, muss das umso mehr Ansporn sein, die Zukunft noch besser zu gestalten. All die Genannten, die diese DTM als Auftrittsbühne wollen, haben allemal die Power und das Können, diese Zukunft noch attraktiver als die Vergangenheit zu gestalten."

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Frage: "Wie stehen die Chancen, dass es künftig wieder Privatteams in der DTM gibt?"Haug: "Spitzen-Motorsport ist ohne Hersteller nicht denkbar. Die aktuelle DTM wird von privaten Teams bestritten, die von Herstellern bezahlt werden und, überaus kompetent, deren Autos einsetzen. Sicher täte man gut daran, künftig weniger auf Hersteller-Strategiegruppen, Datenanalysen etc. zu setzen, so die Kosten zu senken, und gleichzeitig pures und unvorhersehbares Racing zu fördern. Hier haben die ersten Änderungen in dieser Saison bereits große Wirkung auf die Qualität der Rennen gehabt."

Frage: "Mit Ende der Saison 2017 endet der Vertrag über die TV-Rechte mit der ARD. Die Hersteller fordern, dass die ARD auch weiterhin die DTM übertragen soll. Der Privatsender RTL könnte eine denkbare Alternative sein, falls die ARD nicht weitermacht. Glauben Sie, dass ein vorzeitiges Ende der DTM schon nach der laufenden Saison drohen könnte, sollte sich die ITR mit keinem der beiden TV-Wunschkandidaten einigen können?"Haug: "Es bringt uns nicht weiter, hier zu spekulieren. Wird ein klarer Plan für 2018 und die Folgejahre ab 2019 präsentiert mit verbindlicher Hersteller- und Sponsorenzusage, findet sich garantiert mehr als ein interessierter Sender. In dieser Saison haben am Samstag- und Sonntagnachmittag bei der ARD zwischen einer dreiviertel und anderthalb Millionen TV-Zuschauer DTM-Rennen geschaut. Das heißt, dass jeder zehnte bis 15. Fernsehzuschauer in dieser Zeitspanne die DTM live verfolgt hat. Und damit ist die DTM - obwohl deutlich hinter dem alles überragenden Fußball - in aller Regel die am zweithäufigsten gesehene Sportart im Zeitraum von Mai bis Oktober, in dem die neun DTM-Veranstaltungen mit ihren 18 Rennen stattfinden."

Frage: "Vor dem Mercedes-Ausstieg beherrschte die Debatte um die Performance-Gewichte die DTM. Was halten Sie von den Performance-Gewichten? Gibt es eine faire Regelung, mit der alle Hersteller zufrieden sind?"Haug: "Es sieht nicht danach aus, als könnte dieses Thema kurzfristig zu aller Gefallen geregelt werden, trotz aller Mühen. Es gilt für die Verantwortlichen jetzt nach Prioritäten vorzugehen, nämlich die Zukunft der DTM stabil zu präsentieren und abzusichern. Und das wissen sie allesamt aller bestens."

Frage: "Am Wochenende beginnt die zweite Saisonhälfte der DTM. Welches Fazit ziehen Sie nach den ersten fünf Events und was erwarten Sie von den verbleibenden vier Rennwochenenden?"Haug: "Der Sport war überwiegend großartig, wie ja bereits ausgeführt, es gab da wenig auszusetzen. Ich bin kein Fan der sogenannten Performance-Gewichte, und mit dieser Einschätzung bin ich alles andere als einsam. Überdies bin ich sicher, dass es nicht wegen, sondern trotz der Performance-Gewichtsregelung Spitzenrennen gegeben hat. Nichts Anderes erwarte ich vom weiteren Verlauf der Saison: Rein rechnerisch - wenn auch nicht wahrscheinlich - kann noch die Hälfte des Fahrerfeldes um den Meistertitel kämpfen, obwohl die DTM bereits in ihre zweite Saisonhälfte gestartet ist: Zehn Rennen gefahren, zehn Fahrer mit rechnerischen Titelchancen, bei noch acht zu fahrenden Rennen. In welcher Spitzenrennserie gibt es das?"

Frage: "Wie bewerten Sie die Änderungen in der DTM, die vor Saisonbeginn eingeführt wurden, beispielsweise neue Reifen, Verbot von Reifenheizdecken, Funkverbot und Pit View für Fans?"Haug: "Alles richtiggemacht, kann man dazu nur sagen. Ein sensationelles Angebot für die Zuschauer vor Ort, mittendrin statt nur dabei, ganz klar die richtige Rezeptur und entsprechend sind die überwiegenden Reaktionen der Besucher vor Ort. Die sportlichen Neuregelungen haben den gewünschten Effekt gebracht. Bei weniger Aufwand an Strategiemannschaften und Datenanalytikern könnte man sich gerne noch die bisherigen Boxenmannschaften in voller Mannstärke mit Stopps im Formel-1-Tempo und darunter leisten. Und die Re-Starts im Rudel nach Safety-Car-Phasen sind so spektakulär, dass sie womöglich bald in anderen Serien Nachahmer finden werden."

Frage: "Seit März ist Gerhard Berger als Vorstandsvorsitzender der DTM-Dachorganisation ITR im Amt. Wie sind Sie mit ihm und seiner bisherigen Arbeit zufrieden?"Haug: "Gerhard ist ein purer Racer und hat die richtige Einstellung zum Motorsport. Er muss nicht machen, was er tut - er macht es aus Überzeugung. Sehr schade, dass sein Antritt in eine Zeit mit so vielen Herausforderungen fällt, in der die Automobilindustrie zurecht, teils aber leider auch ausgesprochen demagogisch kritisiert wird, was dem Motorsport mit seinen Kritikern, die es naturgemäß auch in den einzelnen Hersteller-Häusern gibt, insgesamt nicht hilft. Aber Gerhard wird mit seiner Mannschaft Gas geben und ich kann ihm nur ein Motto empfehlen, das ihn in seiner Karriere nach oben gebracht hat, ob als Racer oder als Geschäftsmann: Ist der Berg auch noch so steil, Berger klettert hoch, auch ohne Seil."

Frage: "Welcher Fahrer hat Sie in der ersten Saisonhälfte überrascht? Vom wem sind Sie enttäuscht?"Haug: "Viele Fahrer waren beeindruckend, mit Mehrfach- und Einzelerfolgen: Ekström, Auer, Martin, Spengler, Green, Engel, ganz beeindruckend Neuling Rast. Der Erste im aktuellen Punktestand vor Zandvoort ist 60 Punkte vom Zwölftplatzierten getrennt und mit zwei Pole-Positions und zwei Siegen sind an einem DTM-Rennwochenende 56 Punkte zu holen. Dass Konstanz zählt, zeigt Tabellenführer Ekström, der bisher ohne Sieg ist und 26 Punkte vor Doppelsieger Green liegt. Enttäuscht kann ich von keinem aktuellen DTM-Fahrer sein, aber Verständnis für einen DTM-Neuling wie Loic Duval habe ich allemal: er ist nicht der erste großartige Rennfahrer, der in der hyperkompetitiven DTM eine Anlaufzeit braucht, und er wird hoffentlich auch nicht der letzte sein."

Frage: "Welcher Fahrer ist ihr Favorit auf den DTM-Titel 2017?"Haug: "Wie soll man von einem Favoriten sprechen, wenn jener, der aktuell Zwölfter der Tabelle wie Paul di Resta ist, übermorgen - also am Sonntag nach Zandvoort - möglicherweise nur noch vier Punkte Abstand zum Spitzenreiter der Tabelle hat? Unwahrscheinlich zwar, dass ein Fahrer in der DTM an einem Wochenende zwei Pole-Positions und zwei Siege holt, aber genauso wenig unmöglich."

Frage: "Lucas Auer absolvierte vor Kurzem seinen ersten Formel-1-Test. Glauben Sie, dass er im nächsten Jahr noch in der DTM fahren oder in die Formel 1 wechseln wird?"Haug: "Auer hat das Racing-Gen. Er ist erfrischend, er ist spitze. Er funkte vergangenes Jahr, nachdem er einen Rivalen außen herum in der Tarzan-Kurve in Zandvoort überholt hatte, an seine Box: 'Ich glaube, das war das coolste Überholmanöver meines Lebens'. Nur um beim letzten Rennen in Moskau ein noch cooleres Ausbremsmanöver vorzuführen. Solche Jungs braucht der Sport - und die DTM hat etliche davon."

"Ein Jammer, wenn nicht jeder Kampf aufgenommen werden würde, um dieser DTM und all ihren engagierten Fahrern, und vor allem ihren Mechanikern, Ingenieuren, Truckies, Caterern, Helfern, Streckenposten, ihren Tausenden Machern die verdiente Zukunft in ihrem Sport zu gewähren. Und, am wichtigsten, den Zuschauern vor Ort oder vor dem Fernseher, im Web oder am Radio das zu geben, was sie genießen wollen und ihnen eine gute Zeit beschert - für Minuten, Stunden oder Tage. Was in der oft sehr harten Vergangenheit ging, wird mit dem richtigen Geist und der richtigen Motivation auch in der harten Gegenwart als Weichenstellung für eine große Zukunft gehen, davon bin ich überzeugt. Dabei hilft nur eines: Anpacken und Gas geben. Wer das Unmögliche nicht versucht, wird das Mögliche nicht erreichen."

© Motorsport-Total.com