Dass die Weltmeisterschaften in der katarischen Wüste eine ganz besondere Herausforderung darstellen, bekomme ich schlagartig mit, als ich nach meiner Landung den Flughafen in Doha verlasse. Eine heiße Wand kommt mir entgegen, sodass ich reflexartig die Heizstrahler suche, um sie auszuschalten.
SPORT1 in Doha: So skurril ist die WM
© Credit: SPORT1-Montage/Getty Images/iStock
An diesem Ort findet also die Leichtathletik-WM statt - und man versteht sofort, warum die Veranstalter den Marathon-Start auf Mitternacht gelegt haben. Warum der Weltverband überhaupt auf die verwegene Idee kam, die Wettkämpfe in Doha auszutragen, ist dagegen unklar.
Garniert mit einer ordentlichen Portion Luftfeuchtigkeit ist es hier selbst zur Geisterstunde noch immer so drückend heiß, dass es außerhalb meines Vorstellungsbereiches liegt, eine Strecke von 42,195 Kilometer zu bewältigen.
Es verwundert nicht, dass zahllose Athletinnen vorzeitig aufgeben und die Siegerzeit weit jenseits der üblichen WM-Marken liegt. Mit Bildern von kollabierenden Läuferinnen tut sich die IAAF, die ohnehin gegen das abflauende Interesse an der Leichtathletik kämpft, sicherlich kein Gefallen.
"Haben Meerschweinchen aus uns gemacht"
Bei den Gehern tags darauf ein ähnliches Bild. "Nach 35 Kilometern habe ich gemerkt, dass die Körperkerntemperatur angestiegen ist", berichtet der Deutsche Jonathan Hilbert. "Da habe ich angefangen zu frieren, das ist ein Zeichen dafür, dass die Temperatur in Richtung 39,5 Grad geht. Es war eine Grenzerfahrung und eine extreme Herausforderung."
Der französische Weltrekordler Yohann Diniz attackiert die Veranstalter scharf. "Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchstiere."
Andere Klimazone rund um Arena
Dass im gekühlten Stadion eine völlig andere Klimazone herrscht, bekomme ich schon mit, als ich im Nebenbereich der Arena meine Akkreditierung abhole. Oder besser: Versuche, sie abzuholen.
Denn die freundlichen Männer mit den gelben Doha-Shirts weisen mich auf Serverprobleme hin, die das Akkreditierungsverfahren verzögern. In 20 bis 30 Minuten sei aber alles behoben, heißt es.
Also krame ich meinen Pullover aus dem Rucksack und warte mit den Kollegen darauf, dass der Server wieder läuft. Es vergehen zwei Stunden, ohne dass irgendetwas passiert. Immer mehr Journalisten tummeln sich in dem großen Raum, keiner weiß, warum sich nichts tut.
Mittlerweile ist es nach zwei Uhr, und ohne Frühstück im Magen hänge ich langsam durch. Die Klimaanlage tut ihr Übriges, dass die Laune weiter sinkt - denn auch mit Pulli kühlt man hier aus. Also kurz raus in die Bullenhitze, um sich aufzuwärmen. Sebastian Kneipp hätte hier seine helle Freude.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Als ich gerade überlege, meinen Platz ganz vorne in der Schlange aufzugeben und nach etwas Essbarem Ausschau zu halten, geht es schlagartig voran. Der Server macht keine Zicken mehr, die Akkreditierung ist gleich da. Vorher sind aber noch zahlreiche Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, samt biometrischer Verfahren.
Überhaupt die Sicherheitskontrollen: Auf Schritt und Tritt wird einem bewusst, dass Katar hinter jedem Busch einen Feind vermutet – was angesichts der politischen Lage auf der arabischen Halbinsel vermutlich nicht ganz abwegig ist. Der Eingang meines Hotels ähnelt dem Sicherheitscheck eines deutschen Flughafens.
Am Flughafen in Doha ist das Prozedere entsprechend drei Nummern schärfer. Bevor mich die katarischen Sicherheitsbeamten durchwinken, muss ich mich einem Ganzkörperscan unterziehen und die Fingerabdrücke meiner rechten Hand werden eingelesen.
Selbst der scheinbar harmlose Devisentausch verkommt zu einem sicherheitsrelevanten Ereignis. Bis ich meine 300 Euro in katarische Riyal im Portemonnaie habe, wird mein Reisepass kopiert und ich muss meine Handynummer angeben.
Viele Geschenke und gutes Essen
Als mich schon ein mulmiges Gefühl beschleicht, sagt der bärtige Mann hinter dem Schalter auch noch, er werde mich jeden Tag zur Kontrolle anrufen. Dann prustet er los, haut mit seiner Hand auf den Schalter und macht mir klar, dass das ein Witz war. Ich lache mit ihm und bin erleichtert.
So restriktiv die Kataris bei den Sicherheitskontrollen sind, so minutiös haben sie die Titelkämpfe in Doha organisiert.
Nach der Akkreditierungspanne werde ich mit einem großen Rucksack entschädigt, den jeder Journalist vor Ort bekommt. Ich fühle mich an Weihnachten erinnert, als ich nach und nach ein Kissen, einen Trinkbehälter, einen Multifunktions-Adapter, zwei Sticker und einen Kuli rauskrame.
Verhungern werde ich während der zehn Tage in Doha auch nicht. Das Essen, das den Presseleuten im Mediencenter vorgesetzt wird, erinnert an ein Büffet im Fünf-Sterne-Hotel. Auch im Stadion selbst sind die Bedingungen für Journalisten traumhaft, man wird von Ordnern und Sicherheitspersonal geradezu hofiert.
WM in Doha eine Schnapsidee
Dies ändert aber nichts an meiner Meinung, dass die WM-Vergabe nach Doha eine ausgewiesene Schnapsidee war - nicht nur wegen der klimatischen Bedingungen. Am Samstagabend sind gerade einmal 10.000 Zuschauer im Stadion, um sich die 100 Meter der Männer anzuschauen.
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Weil ich schon 14 Stunden auf den Beinen bin, verlasse ich vor dem vermeintlichen Höhepunkt der WM das Stadion und mache mich auf den Weg ins Hotel. Also ziehe ich meinen Pulli aus und gehe hinaus in die drückend heiße Nacht von Doha.
In zwei Stunden werden sich die Geherinnen und Geher auf ihre 50-Kilometer-Strecke begeben. Ich bedauere sie jetzt schon.