Aus fußball-romantischer Sicht kam dieser Abschied neun Monate zu spät.
Ein Traumtor als Abschiedsgeschenk
Der 16. August 2019 wäre im Nachhinein betrachtet der perfekte Tag für Aritz Aduriz gewesen, seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. Denn was ihm an diesem Tag gelang, wird kein Fan von Athletic Bilbao wohl jemals vergessen.
Saisonauftakt in La Liga, die Basken haben den Titelverteidiger Barcelona zu Gast. Bilbao geht mit einem 0:0 in die Schlussphase, in der 88. Minute zieht Trainer Gaizka Garitano seinen letzten Trumpf und wechselt Mittelstürmer Aduriz ein. Was dann passiert, sorgt bei jedem Fußballfan auch neun Monate später noch für Gänsehaut.
Aduriz-Seitfallzieher versetzt Bilbao in Ekstase
Die Basken kombinieren sich auf der rechten Seite durch, Rechtsverteidiger Capa flankt den Ball in Richtung Elfmeterpunkt. Aduriz legt sich quer in die Luft und verwandelt den Ball mit einem Gedicht von einem Seitfallzieher am geschlagenen Marc-André ter Stegen vorbei zum Siegtreffer ins lange Eck. Es ist der erste Ligaerfolg über die Katalanen seit sechs Jahren.
Der Rest ist Ekstase, das San Mamés rastet komplett aus und huldigt ihrer Nummer 20. Und das, obwohl zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war, dass kein weiterer Treffer hinzukommen wird.
Seit Mittwoch ist klar: Es war das letzte Karrieretor des 39-Jährigen, Aduriz zieht sein für das Saisonende angekündigtes Karrierende vor. "Für mich ist die Zeit gekommen, mich zu verabschieden. Mein unvergesslicher Weg endet. Leider hat mein Körper gesagt: Es ist genug", schrieb der 13-malige spanische Nationalspieler in den Sozialen Netzwerken.
Der Grund für sein abruptes Karriereende seien anhaltende Hüftbeschwerden, aufgrund derer er bereits einen Großteil der Saison verpasst hatte. "Mir wurde gestern von einigen Ärzten dazu geraten, mich einer Operation zu unterziehen", erklärte der Angreifer, dessen Vertrag im Baskenland nicht mehr verlängert worden war. "Ansonsten hätte es sein können, dass ich in naher Zukunft eine Prothese bekomme."
Körper spielt nicht mehr mit
In den vergangenen zwei Jahren machte dem gebürtigen Basken der Körper mehr und mehr ein Strich durch die Rechnung. Zuvor hatte man den Eindruck gewinnen können, Aduriz könne ewig weiterspielen und weitertreffen.
Dabei war es alles andere als Liebe auf den ersten Blick zwischen Aduriz und Bilbao. In der Jugend spielte Aduriz mit Xabi Alonso und Mikel Arteta für Antiguoko. Von da ging es weiter in die Hafenstadt.
Im Jahr 2002 debütierte der damals 21-Jährige für den Verein, der traditionell nur auf Basken setzt und auf internationale Stars verzichtet. Sein Gegner damals: der FC Barcelona. Trainer bei Bilbao war damals übrigens ein gewisser Jupp Heynckes. "Er verlangte viel, aber Heynckes hatte immer ein Ohr für mich", erinnerte sich Aduriz Jahre später im kicker.
Doch vorerst kamen nur zwei weitere Einsätze hinzu. Aduriz landete über Burgos bei Real Valladolid, um Anfang 2006 zurückzukehren. Obwohl er sich als Stammspieler bei den Basken etablierte, hielt die zweite Ehe nur zweieinhalb Jahre.
Aduriz: "Verließ Bilbao fast weinend"
"Ich verließ Bilbao fast weinend. Aber ich musste gehen. Aus wirtschaftlichen Gründen - und weil der Trainer auf Fernando Llorente setzte. Es war ein wenig traumatisch für mich. Aber ich fühlte mich dann in Mallorca sehr wohl, lernte die Insel und den Fußball dort lieben. Es wurden wundervolle Jahre", resümierte Aduriz.
Über Real Mallorca landete er beim FC Valencia. 2012 kehrte Aduriz – inzwischen 31 Jahre alt - ein zweites Mal nach Bilbao zurück. Und dieses Mal blieb er. Auf seine alten Tage startete er plötzlich richtig durch.
In seiner besten Saison, der Spielzeit 2015/16 gelangen dem 1,81 Meter großen Mittelstürmer 36 Pflichtspieltore. Als Belohnung nahm ihn der damalige Nationaltrainer Vicente del Bosque mit zur EM 2016.
Ein halbes Jahr später schoss sich Aduriz mit seinem Treffer gegen Mazedonien in die Geschichtsbücher der "Furia Roja", avancierte mit 35 Jahren und 275 Tagen zum ältesten Torschützen der spanischen Nationalmannschaft. "Der alte Sack in der Torjägerliste, der bin ich. Eine lustige Bestmarke", war der Kommentar des baskischen Knipsers.
Neun Tage zuvor war ihm eine weitere Bestmarke gelungen. Im Europa-League-Spiel gegen den KRC Genk erzielte Aduriz alle fünf Treffer seiner Mannschaft, als erst zweiter Spanier überhaupt im Europapokal. Mit 28 Treffern liegt er auf Rang fünf der ewigen Torschützenliste von Europa League und Vorgängerwettbewerb UEFA-Cup.
Vereinsintern ist Aduriz längst einer der Rekordschützen. In 405 Pflichtspielen für Athletic gelangen dem in Donostia-San Sebastián geborenen Stürmer 172 Pflichtspieltore, Rang zwei in der klubinternen Torschützenliste.
Pokalfinale bleibt ihm verwehrt
Auch in La Liga reiht sich Aduriz in den Top Ten der Schützen ein, von den noch Aktiven haben nur Lionel Messi und Karim Benzema öfter getroffen. Neben Messi und Sergio Ramos ist Aduriz zudem der einzige Akteur, der in den vergangenen 15 Spielzeiten jeweils ein Tor erzielt hat.
Doch der Zahn der Zeit fing irgendwann an, auch an Aduriz zu nagen. Er hielt die Knochen hin, solange es ging. Sein großer Traum, ein großer Titel mit Bilbao, blieb ihm leider verwehrt. Lediglich der spanische Superpokal steht im Trophäenschrank des Stürmers.
In diesem Jahr hätte es nun endlich soweit sein sollen. Bilbao erreichte das Finale in der spanischen Copa del Rey, wo es zum baskischen Duell mit Real Sociedad kommt. Doch die Coronakrise machte den Plänen von Aduriz einen Strich durch die Rechnung. Wann das Finale nachgeholt wird, steht noch nicht fest. Womöglich findet es sogar erst im kommenden Jahr statt, da Bilbao und Real Sociedad unbedingt vor Fans spielen wollen.
Solange konnte Aduriz nicht mehr warten. Er musste einen sofortigen Schlussstrich ziehen, um seine langfristige körperliche Gesundheit nicht weiter zu gefährden. Das größte Geschenk konnte er sich und den Athletic-Fans leider nicht mehr machen.
Doch dafür machte er ihnen – wenn auch unbeabsichtigt – ein anderes. Eines, dass im Herzen von Fußballromantikern auf ewig einen Platz haben dürfte. Eine Bilderbuch-Karriere legte Aduriz wahrlich nicht hin. Doch er verabschiedete sich mit einem Gedicht von einem Tor. Zumindest aus fußball-romantischer Sicht.