Joachim Löw ist ein konservativer Trainer. Er hat zwar junge Talente wie Joshua Kimmich, Leroy Sane und Julian Weigl mit zur EM nach Frankreich genommen, aber er vertraut auch gern auf Bewährtes.
Leroy Sane: X-Faktor im Wartestand
© Getty Images
Es dauerte bis zum dritten Spiel, ehe Löw in der Abwehr umstellte und Kimmich für Benedikt Höwedes als Rechtsverteidiger aufbot. Ein Wechsel, der sich auszahlte. In der Offensive scheint der Bundestrainer aber das Risiko weiterhin zu scheuen.
Immer wieder Andre Schürrle
Seine Wechsel während des Spiels kommen fast immer erst nach der Halbzeit und betreffen meistens dieselben Spieler. In der Gruppenphase kam Andre Schürrle gegen die Ukraine in der 78. Minute für Julian Draxler ins Spiel, gegen Polen in der 66. Minute für Mario Götze, gegen Nordirland in der 56. Minute, auch für Götze.
Neue Impulse oder Torchancen? Fehlanzeige.
"Für mich war klar, dass irgendwann Schürrle reinkommt. Aber da kommt auch nichts Überraschendes", moniert SPORT1-Experte Thomas Helmer.
"Ich finde, dass wir momentan ein bisschen sehr berechenbar sind, auch für die Gegner", erklärt der Europameister von 1996 und nennt seinen Lösungsansatz: "Als Überraschungsmoment könnte ich mir Leroy Sane vorstellen."
Leroy Sane besticht durch Schnelligkeit
Doch Sane wechselte Löw bisher nicht ein. Und das, obwohl der junge Schalker einer der talentiertesten deutschen Offensivspieler ist. Sane hat Stärken, die seine Teamkollegen nicht haben. Seine Schnelligkeit und seine Stärke im Eins-gegen-Eins wären durchaus ein Mittel gewesen, die Defensive der Nordiren auszuhebeln.
"Er hat seine Qualitäten, kann Gegner überraschen mit seinem Tempo", räumte auch DFB-Assistenztrainer Marcus Sorg am Donnerstag in Evian ein.
Warum tut sich Löw also so schwer damit, frischen Wind in die Offensive zu bringen?
Sane habe wie Kimmich und auch Julian Weigl "gute Qualitäten, absolut", erklärte der Bundestrainer schon vor dem Nordirland-Spiel auf SPORT1-Nachfrage: "Aber man darf nicht vergessen: Ein Turnier ist eine besondere Drucksituation und solche Spiele, in denen es um alles geht, sind auch nicht immer so einfach."
Man müsse "den richtigen Zeitpunkt finden und je nach Situation entscheiden, wann der richtige Moment ist, um jemanden zu bringen".
Jerome Boateng verhindert möglichen Sane-Einsatz
Der richtige Zeitpunkt wäre das Nordirland-Spiel aber durchaus gewesen. Die DFB-Elf führte 1:0, vergab viele Chancen und fand in der zweiten Halbzeit kaum noch eine Lücke in der Abwehr.
"Wir hätten schon gegen Nordirland noch einmal offensiv auswechseln können, wenn die Boateng-Verletzung nicht dazwischen gekommen wäre", meinte Sorg. Eine konkrete Antwort auf die Frage, ob und wann Sane und die anderen jungen Spieler eine Chance erhalten werden, bekommt man in diesen Tagen beim DFB aber nicht.
"Sie wissen, dass sie wichtig sind und eine große Wertschätzung haben", meinte Löws Co-Trainer Thomas Schneider: "Sie wissen, dass sie im Turnier noch zum Einsatz kommen."
Stefan Kuntz und Klaus Fischer glauben an Sane
Auch Ex-Nationalspieler Stefan Kuntz glaubt, dass Sane seine Stärken bei der EM noch zeigen darf. "Bei tief stehenden Gegnern vielleicht noch nicht, aber es könnte Situationen im Verlauf des Turniers geben, wo seine tollen Fähigkeiten gebraucht werden", sagt Kuntz zu SPORT1.
Gegen defensive Gegner seien "Spieler gefragt, die stark im Eins-gegen-Eins sind", findet Klaus Fischer. Sane sei solch ein Spieler. "Natürlich ist er schnell, er kann gut vorbereiten, das hat er ja bei Schalke auch gemacht", erklärt der ehemalige Schalker Bundesliga-Torjäger bei SPORT1, gibt aber auch zu bedenken: "Sane braucht Raum für sein Spiel."
Viel Raum wird die deutsche Elf jedoch wahrscheinlich auch im Achtelfinale gegen die Slowakei nicht bekommen. Sollte die deutsche Mannschaft allerdings in Führung gehen und die Slowaken müssten mehr riskieren, könnte auch endlich der richtige Moment für Sane gekommen sein.