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BVB: Der Anschlag auf den Bus und die Folgen

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BVB: Der Anschlag auf den Bus und die Folgen

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Der Bus-Anschlag und die Folgen

Der Anschlag auf den BVB-Bus jährt sich zum fünften Mal. SPORT1 beleuchtet die Ereignisse und Nachwirkungen des 11. April 2017. Auch ein BVB-Fan schildert die turbulenten Momente.
Anderthalb Jahre nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB geht es jetzt - wie damals - gegen die AS Monaco. Die schlimmen Ereignisse - noch immer omnipräsent.
hluhmann
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Es ist gegen 19 Uhr an jenem 11. April 2017. Christian Neuhaus ist mit zwei Freunden auf dem Weg zum Stadion. Ein Teil der schwarz-gelben Pilgerströme gen Signal Iduna Park. Zu Fuß, mit dem Auto oder in den prall gefüllten Straßenbahnen. Die Fans stimmen erste Gesänge an, die Vorfreude ist groß bei den 66.000 Zuschauern, die das Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen AS Monaco verfolgen wollen. Noch ahnen sie nicht, dass alles ganz anders kommen soll. Welche Wendung der Abend nehmen wird, dessen Ereignis den Verein Borussia Dortmund bis ins Mark treffen wird.

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19.15 Uhr

Zehn Kilometer vom Stadion entfernt, im gediegenen Dortmunder Stadtteil Höchsten, rollt der Mannschaftsbus des BVB vom Parkplatz des Hotels L'Arrivee, in dem sich das Team wie üblich vor Heimspielen getroffen hat. Es sind die letzten Sekunden, bevor die Normalität im wahrsten Sinn des Wortes mit aller Wucht zerbirst.

Drei Sprengsätze detonieren zeitgleich. Metallsplitter schießen durch die Luft. Bohren sich durch die Wände des Busses. Dringen in Sitze. Treffen Verteidiger Marc Bartra so schwer, dass sein Handgelenk bricht.

Die Spieler bangen um ihr Leben. Sie fürchten, von Leuten mit Maschinengewehren hingerichtet zu werden. "Auf den Boden", brüllen mehrere Spieler. Andere schreien den Busfahrer an, dass er sie wegbringen soll. Monate später beschreibt Mittelfeldspieler Nuri Sahin die dramatischen Szenen in der Players Tribune so: "Meine Gedanken rasten. Innerhalb von zwei Sekunden lief mein ganzes Leben an mir vorbei. Ich dachte ans Sterben, aber auch ans Leben. Dann dachte ich an meine Familie. Ich sah meinen fünfjährigen Sohn, meine einjährige Tochter und meine Frau. Ich konnte sie bei mir fühlen."

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Nur wenige Meter entfernt bestellt Sergej W. im L‘Arrivee ein Steak mit Süßkartoffeln. In der Nacht zuvor hat er aus Wasserstoffperoxid, Fernzündern, Drähten und 65 fingerlangen Metallbolzen drei Bomben zusammen gesetzt und in einer Hecke am Rande des Hotelgeländes versteckt. Am Tag des Anschlages, so steht es in der Anklageschrift, gönnt er sich eine Massage im Wellness-Bereich des Hotels und einen Bordellbesuch.

Doch von dem Täter weiß in den Augenblicken des Anschlags noch niemand.

19.36 Uhr

Die Polizei Dortmund meldet, dass es im Stadtteil Höchsten eine Explosion gegeben habe. Etwa zeitgleich gibt es erste Medienberichte über einen Anschlag auf den Bus des BVB.

"Wir haben von den ersten Berichten erfahren, als wir in der Nähe des Stadions waren", erzählt Neuhaus SPORT1: "Alle sind von einem terroristischen Anschlag ausgegangen. Man wusste ja noch nicht viel. Aber die Leute sind ganz ruhig geblieben, von Panik keine Spur."

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Trotz der ersten Nachrichten geht der Familienvater und Lehrer aus Soest mit seinen Begleitern ins Stadion. „So komisch es klingt, wir haben uns gedacht, dort sind wir am sichersten“, sagt Neuhaus.

19.55 Uhr

Reinhard Rauball eilt zu den Sitzungsräumen in der Nordtribüne. Dem Vereinspräsidenten ist die Anspannung und Sorge ins Gesicht geschrieben. Rauball ist einer der Vertreter des Krisenstabs. Auch dabei: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Vertreter von Monaco, Delegierte der UEFA, Polizei und Feuerwehr.

Die Mannschaft des BVB befindet sich noch immer am Bus. In Schockstarre.

20.29 Uhr

Der BVB teilt über Twitter mit, dass die Partie abgesetzt und für Mittwoch 18.45 Uhr neu angesetzt ist. Die Regularien der Champions League sehen vor, dass innerhalb von zwei Stunden nach der Absage eines Spiels ein Nachholtermin gefunden sein muss. Im Stadion werden die Fans über die Entscheidung informiert.

"In dem Moment war es unglaublich ruhig", erinnert sich Neuhaus. "Die Fans wirkten ratlos. Wir haben uns gedacht: Wenn das Spiel für den nächsten Tag schon wieder angesetzt ist, wird es nicht so schlimm sein, wird niemandem groß etwas passiert sein."

"Im Nachhinein war diese schnelle Neuansetzung natürlich hirnrissig", sagt Neuhaus. "Die Spieler hatten doch ein Trauma."

Die Entscheidung hat Neuhaus wütend gemacht: „Mir hat da die Empathie gegenüber den Spielern gefehlt. Für mich hat Herr Watzke die Situation falsch eingeschätzt.“

Ähnlich sollen sich Trainer Thomas Tuchel und ein paar Spieler am folgenden Tag äußern.

Neuhaus und seine Freunde verlassen das Stadion, unterhalten sich auch mit Monaco-Fans. Schnell entsteht eine Welle der Solidarität. In sozialen Netzwerken bieten BVB-Anhänger den Gästen private Übernachtungsmöglichkeiten an. "Die Fans, mit denen wir gesprochen haben, hatten alle Hotels", sagt Neuhaus: "Sonst hätten wir auch welche aufgenommen."

12. April, 9.50 Uhr

Auf dem Trainingsgelände in Dortmund-Brackel spricht Watzke mit Tuchel und der Mannschaft. Er stellt den Spielern frei, auf die Partie am Abend zu verzichten. Mit Ausnahme einzelner Profis soll niemand Bedenken vorgetragen haben, so früh nach dem traumatischen Erlebnis schon wieder spielen zu müssen.

Gegen 18 Uhr

Tuchel kritisiert bei Sky die Ansetzung der Partie. "Wir hätten uns gewünscht, dass wir mehr Zeit bekommen hätten, das von gestern zu verarbeiten", sagt Tuchel und spricht von einem "ohnmächtigen Gefühl."

Tuchel geht in dieser sensiblen wie heiklen Frage damit auch auf Konfrontationskurs zu Watzke, der die Entscheidung verteidigt: "Die Terminproblematik der Uefa gibt es, aber die war mir völlig egal. Für mich ging es darum zu zeigen, dass wir uns unseren Terminplan nicht von Terroristen diktieren lassen und unsere freiheitliche Grundordnung nicht zur Disposition steht. Das ist ein Signal, das die Welt heute sieht."

Noch geht Watzke von einem möglichen Terroranschlag aus und nicht von einem Einzeltäter. Am Ort des Attentates hatte Sergej W. gefälschte Bekennerschreiben platziert, die den Verdacht auf islamistische Terroristen lenken sollen.

Erst später wird sich herausstellen, dass ein einzelner Mann für den Anschlag verantwortlich ist - aus Habgier. Der 28 Jahre alte Sergej W. hat in der Woche zuvor für über 26.000 Euro Optionsscheine und Kontrakte gekauft. Ginge der Kurs der Dortmunder Aktie in den Keller, so sein Kalkül, würde ihm das zu einem ordentlichen Gewinn verhelfen.

Attentäter Sergej W. wurde verurteilt
Attentäter Sergej W. wurde verurteilt

"Was ist das für ein perverser Mensch? Mit dem Leben von Menschen Geld verdienen zu wollen und dabei über Leichen zu gehen", sagt Neuhaus.

18.45 Uhr

Ungeachtet aller Umstände findet die Partie zwischen dem BVB und Monaco statt. Die Dortmunder Mannschaft gibt ihr Bestes, verliert aber 2:3.

Neuhaus spricht von einer "sehr andächtigen Atmosphäre."

"Wir haben schon versucht, die Mannschaft anzufeuern", sagt Neuhaus: "Irgendwann haben wir aber gemerkt: es geht einfach nicht. Die Spieler waren mit dem Kopf ja überhaupt nicht auf dem Platz."

Erst nach dem Abpfiff, "als der Druck abfiel, kam plötzlich alles hoch, viele haben offen geweint", erzählt Matthias Ginter einige Wochen später der Süddeutschen Zeitung. Hätte in Dortmund nicht "mehr als die Hälfte der Sprengladung den Bus verfehlt, säße ich vielleicht nicht hier", sagt Ginter. Er hat schon die Anschläge von Paris 2015 erlebt, als er während eines Spiels mit der Nationalmannschaft die Detonationen draußen vor dem Stadion hört und eine angstvolle Nacht in der Kabine verbringt.

21.10 Uhr

Tuchel erneuert während der Pressekonferenz nach dem Spiel seine Kritik an der Ansetzung: "Wir hatten das Gefühl, so behandelt zu werden, als wäre eine Bierdose an unseren Bus geflogen." Verteidiger Sokratis sagt unter Tränen: "Wir wurden wie Tiere behandelt und nicht wie Menschen."

Der Vorwurf der Unmenschlichkeit trifft Watzke schwer. Watzke soll die Vorwürfe später so vergleichen: "Als hätte Mike Tyson dir aus dem Nichts eine vor den Kopf geballert." Für Watzke kommt Tuchels Kritik einer – ungerechtfertigten – Bloßstellung gleich. Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen Watzke und Tuchel zerbricht an diesem Tag endgültig.

11. April 2022

Der Anschlag auf den BVB-Bus jährt sich zum fünften Mal. Seitdem ist viel passiert.

Attentäter Sergej W. wurde wegen versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Thomas Tuchel ist inzwischen Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea. Auch Nuri Sahin ist inzwischen als Trainer tätig, in der Türkei in Antalya. Bartra ist in seine Heimat Spanien zurückgekehrt, Sokratis via FC Arsenal nach Griechenland, Ginter spielt in Mönchengladbach.

Das Gesicht des BVB hat sich massiv verändert, mit einem Erling Haaland als Torjäger und einem Marco Rose als Trainer.

Aber die Erinnerungen an jenen schlimmen Abend bleiben.

Und Christian Neuhaus? Geht auch weiterhin ins Stadion, wenn auch nicht mehr regelmäßig. Angst habe er nicht. „Dann dürfte man ja gar nichts mehr in der Öffentlichkeit machen.“