Normalerweise steht Vincenzo Grifo bis zu sechs Tage in der Woche für den SC Freiburg auf dem Fußballplatz.
Grifo: "... als wäre ich Rockstar"
Doch die Coronakrise hat die Bundesliga in einen Dornröschenschlaf versetzt.
Was macht nun eigentlich ein Fußball-Profi mit der vielen Zeit, wie verhindert er einen Lagerkoller? Und im speziellen Fall von Deutsch-Italiener Grifo: Wie geht es der Familie im so gebeutelten Italien?
SPORT1: Herr Grifo, in Zeiten von Corona die wichtigste Frage zuerst: Sind Sie gesund? Ist Ihre Familie gesund?
Vincenzo Grifo: Ja, definitiv, es sind alle gesund. Ich kam jetzt gerade vom Laufen, habe frisch geduscht und fühle mich sehr, sehr gut. Meine Eltern wohnen ja in Pforzheim, aber auch ihnen geht es sehr, sehr gut. Und meiner Familie aus Italien geht es bisher auch blendend.
SPORT1: Wie groß ist denn Ihr familiärer Kreis in Italien und wie intensiv ist der Kontakt?
Grifo: Wir haben sehr viel Kontakt, auch durch Whatsapp, wo wir dann Videokonferenzen machen - da lädt man dann meist die Oma, die Mama und Familie meiner Frau ein. Ich habe Familie in Modena, da kommen meine Tanten und Onkel her. Dann habe ich noch Cousinen in Neapel - wir sind also sehr verteilt. Die Familie meiner Frau kommt komplett aus Sizilien. Da ist man dann einfach sehr viel am Telefonieren, am Skypen oder Whatsappen.
SPORT1: Wie bedrückt ist die Stimmung dort?
Grifo: Man muss schon ehrlich sagen, dass sie auch Angst haben. Italiener lieben die Bella Vita - sie lieben es, rauszugehen, Kaffee zu trinken, unter Menschen zu sein und sich in den Arm zu nehmen, was sie halt jetzt alles nicht mehr dürfen. Es ist auch irgendwie gruselig: Du guckst auf die Straße, wo nichts los ist, die Polizei kontrolliert und es sind kaum Autos unterwegs. In Deutschland dürfen wir ja immerhin noch zu zweit beim Spazierengehen die Sonne genießen und Fahrrad fahren.
SPORT1: Wie sieht denn Ihr Tagesablauf aus in diesen Zeiten?
Grifo: Ich bin generell ein Frühaufsteher und versuche immer gegen 8 oder halb 9 aufzuwachen. Der Rest des Tages gestaltet sich dann, je nachdem ob ich eine Trainingseinheit habe oder nicht. Normalerweise bin ich sehr aktiv - hier in Freiburg gibt ja sehr schöne Orte und schöne Wälder. Aber ich gucke auch mal eine Serie, zocke an der Playstation mit den Jungs oder backe mal eine Pizza - man macht alles. Ich stand zuvor auch noch nie so oft in der Küche wie in den letzten drei Wochen.
SPORT1: Haben Sie Talent in der Küche oder sind Sie eher der Zuarbeiter?
Grifo: Ich muss eher sagen, meine Frau ist die Talentierte. Ich schnippel eher, helfe, mache das Einfache wie Salat oder Nudeln. Wenn es dann um die italienischen Spezialitäten geht, ist da meine Frau zu 100 Prozent die Bessere. Ich decke dann den Tisch und mache Allgemeines. Aber in den letzten zwei, drei Wochen habe ich hier sehr viel geholfen - sei es bei einer Pizza, bei Nudeln, Salaten, bei selbstgemachtem Bananenbrot. Aber sie ist die Chefin in der Küche.
SPORT1: Sie haben zuletzt ein Video gepostet, das Sie beim Zähneputzen mit Ball auf dem Kopf zeigt. Was hat es damit auf sich?
Grifo: Ich hatte im Auto noch einen Ball und der hat mir so gefehlt, dass ich meiner Frau gesagt habe: 'Ich hole den jetzt.' Dass ich zuhause auch einfach mal wieder ein bisschen jonglieren kann. Jeden Morgen liegt der im Schlaf-, Ankleide- oder Schuhzimmer und dann bin ich auf die Idee mit dem Video gekommen. Mir fehlt einfach der Ball - uns Sportlern fehlt einfach der Sport und der Rhythmus. Da habe ich gesagt: 'Ok, komm, dann poste ich das jetzt mal.'
SPORT1: Welche kreativen Ideen dürfen wir noch erwarten?
Grifo: Lasst euch überraschen. Wir sind ab und zu sehr aktiv auf TikTok und schicken der Familie teilweise auch lustige Videos, die man sonst nicht so ins Netz stellt. Und wer weiß, vielleicht kommt da ja noch was - je nachdem, wie lange die Situation noch anhält.
SPORT1: Nils Petersen hat mal verraten, dass er in der freien Zeit Klavierspielen lernt. Haben Sie auch so eine Idee im Hinterkopf?
Grifo: Ich singe eher in der Dusche, lasse über die Box laute Musik laufen und tue dann so, als wäre ich ein Rockstar. Aber wer weiß - je nachdem, wie langweilig es wird, kommt vielleicht noch mal irgendwann die Gitarre zum Einsatz. Je langweiliger einem ist, desto mehr Ideen hat man im Kopf.
SPORT1: Wie sehr vermissen Sie das Fußballspielen?
Grifo: Ich vermisse das brutal, wirklich. Ich bin so ein Bolzplatzkicker: Ich bin auf der Straße aufgewachsen und hatte tagtäglich immer einen Ball unter dem Arm und unter dem Fuß - ich war immer auf dem Bolzplatz. Mir fehlen das Training und die Jungs total, einfach mal in der Kabine zusammen Blödsinn zu machen und zu lachen. Da merkt man erst mal, wie das einem fehlt. Am liebsten würde ich hier auf die Straße gehen, jonglieren, kicken und irgendwo ein Tor und einen Torwart suchen und ein paar Bälle aufs Tor bolzen. Aber wir wollen und müssen auch Vorbilder sein. "Stay at home" soll man bestmöglich umsetzen und das tun wir auch.
SPORT1: Sie haben als Mannschaft beschlossen, dass Sie auf einen Teil des Gehalts verzichten. Wie intensiv war die Diskussion darüber?
Grifo: Was heißt intensiv? Klar, wir haben uns abgesprochen, haben mit dem Jochen (Saier, Sportvorstand des SC Freiburg, Anm. d. Red.) telefoniert. Wir haben das unter uns ausgemacht und mit dem Mannschaftsrat gesprochen. Mehr oder weniger war das allen sehr klar, weil alle einfach helfen wollen und wir mit einem großen Teil der Summe die Mitarbeiter und den Verein wahnsinnig unterstützen können. Ich bin generell ein Mensch, der gerne hilft, und habe mich dementsprechend auch schon an einigen Aktionen beteiligt. Wenn ich das auf diese Art und Weise machen kann und wir Mitarbeitern helfen können, ohne die wir nicht da wären, wo wir jetzt sind, dann empfinde ich das als selbstverständlich. Wir sind 30 Spieler - da ist es klar, dass nicht alle einer Meinung sind. Am Ende kamen wir aber alle auf einen Nenner, dass wir es machen wollen und sich jeder beteiligen möchte. Das zeigt einfach, was wir für eine tolle Mannschaft haben.
SPORT1: Was machen Sie, damit Sie bestmöglich vorbereitet sind, wenn es wieder losgeht?
Grifo: Wir haben natürlich Pläne mit nach Hause bekommen, in allen Belangen: Kraft, Oberkörper, ein paar Läufe. Ab und zu haben wir samstags auch intensivere Läufe, weil das ja eigentlich unser Spieltag wäre. Wir haben viel mit unserem Athletiktrainer zu tun, der von uns Videos gemacht hat, wie wir die Übungen am besten umsetzen können. Ich versuche mich daran festzuhalten, weil es auch einfach der einzige Ausgleich ist, den ich habe. Klar ist es auch mal schön, eine Woche nichts zu machen, aber ich bin so einer, der Hummeln im Arsch hat. Ich will am liebsten jeden Tag laufen gehen und was für meinen Körper machen. Und bei dem Wetter ist das natürlich sensationell, einfach mal das Fahrrad zu nehmen, ein, zwei Stunden zu fahren, um auch wieder ins Schwitzen zu kommen. Das macht man dann bestmöglich mit der Frau - wenn ich laufe, fährt sie Fahrrad. Wir haben jetzt Sonnenschein und 15 Grad, besser geht’s ja gar nicht.
SPORT1: Es gibt aber auch das Szenario, dass die Saison abgebrochen wird. Das wäre ja für den SC Freiburg das schlimmste Szenario, wenn man überlegt, dass Sie auch gute Chancen auf die vorderen Plätze haben ...
Grifo: Definitiv. Wenn ich jetzt mal an die Tabellenführer denke: Ich weiß nicht, wie das dann gemacht wird. Bekommt man dann den Meistertitel oder nicht? Kann man sich dann überhaupt freuen? Und natürlich ist das für uns auch so. Wir spielen mit Freiburg dieses Jahr eine coole Saison, haben eine geile Mannschaft, spielen guten Fußball - deswegen stehen wir auch verdient dort, wo wir stehen. Wenn die Saison abgebrochen würde, wäre das für uns schon sehr, sehr schade. Aber daran will ich jetzt nicht denken. Wie gesagt bin ich ein sehr positiver Mensch und bin deswegen guter Dinge, dass das nicht so kommen wird. Ich stelle mich darauf ein, dass wir die Saison hoffentlich noch zu Ende spielen und wir uns auf dem Platz wieder beweisen können.