Aufbruchsstimmung adé.
Ist Flicks Zauber schon verflogen?
Erstmals seit über einem Jahr verlieren die Bayern in der Bundesliga zweimal in Folge. Der Positivtrend, den Trainer Hansi Flick nach der Entlassung von Niko Kovac mit vier Gala-Siegen entfacht hatte, ist vorerst einer Krisenstimmung gewichen.
Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach ist mit sieben Punkten enteilt. Die Bayern stehen nach der vierten Saisonniederlage und nunmehr schon 20 Gegentoren nur auf Platz sieben in der Tabelle, wären also aktuell in der kommenden Saison nicht mal in Europa vertreten. Ein Horror-Szenario.
SPORT1 beantwortet die wichtigsten Fragen zur Bayern-Lage.
Warum die Rotation gegen Mönchengladbach?
Die Pressing-Maschine der Borussia war intensiv studiert worden. Die Münchner erwarteten ein hartes Duell, das es dann auch war. Javi Martínez war nicht hundertprozentig fit und hatte gegen Leverkusen (1:2) gewackelt.
Daher spielte Jérôme Boateng, der sich zuletzt stabilisiert hatte. Rechtsverteidiger Benjamin Pavard war gegen Bayer 04 auch anfällig und interpretiert seine Rolle auf der Außenbahn noch nicht so druckvoll und offensiv entlastend, wie es Joshua Kimmich tut.
Thiago, das machte Flick schon in Belgrad klar, hat nach wie vor das Vertrauen des Trainers. Gegen Mönchengladbach spielte er passabel, hatte aber wieder leichtfertige Ballverluste in seinem Spiel. Serge Gnabry hatte am Freitag im Abschlusstraining Probleme an der Leiste. Bei ihm wollten die Verantwortlichen mit Blick auf die kommenden Wochen wohl kein Risiko eingehen.
Ist der Flick-Effekt verflogen?
"Nein. Es hat sich nichts verändert", versicherte Sportdirektor Hasan Salihamidzic. Auf die gleiche Frage antwortete Manuel Neuer, der übrigens seinen Vertrag bis 2023 verlängern will (SPORT1 berichtete exklusiv): "Spielerisch nicht, weil wir wirklich gute Leistungen gezeigt haben. Die Art und Weise, wie wir größtenteils aufgetreten sind, war in Ordnung." Damit sich die Stimmung wieder zum Positiven wendet, helfen bis Weihnachten aber nur noch Siege.
Haben die zwei Niederlagen Einfluss auf Flicks Zukunft?
Jein. Flick genießt im Verein weiterhin das Vertrauen und erfährt eine hohe Wertschätzung seitens der Bosse und der Spieler. Allerdings: Jede Niederlage erschwert wohl die Möglichkeit, dass er sogar über den Sommer 2020 hinaus Trainer der Bayern bleibt.
Dass er bis Saisonende die Mannschaft trainiert, ist wahrscheinlich. Wie es mit Flick weitergeht, soll nach dem letzten Heimspiel des Jahres gegen den VfL Wolfsburg am 21. Dezember besprochen werden. Bislang fanden noch keine weiterführenden Gespräche statt. Nach SPORT1-Informationen laufen im Hintergrund Gespräche mit Trainerkandidaten, was zumindest gegen eine langfristige Anstellung Flicks als Cheftrainer spricht.
Ändert sich etwas am Spielstil?
Unwahrscheinlich. "Wir spielen besseren Fußball als letzten Winter, trotzdem holen wir weniger Punkte als zum Ende der letzten Vorrunde", sagte Joshua Kimmich. Die Bayern setzen den Gegner unter der Regie von Flick unter Druck, verteidigen höher. Den Spielern gefällt diese Marschroute im 4-1-4-1-System, weil sie sich darin auch viele Chancen erarbeiten. Thomas Müller machte aber auch klar: "Für unser Spiel können wir uns nichts kaufen."
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Unter dem Strich stehen null Punkte gegen zwei unmittelbare Konkurrenten. "Die Idee, wie wir Fußballspielen, hat sich gesteigert", meinte Flick dazu. "In den ersten Spielen haben die Ergebnisse gestimmt, jetzt stimmen sie aktuell nicht." Fakt ist: Am Ende zählen nur Punkte. Auch für Flick.
SPORT1-Experte Stefan Effenberg empfahl im CHECK24 Doppelpass: "Die Bayern müssen auch mal ein Stück weit schmutzig sein und sagen: 'Wir verwalten jetzt mal das 1:1.' So haben wir zum Teil früher auch gespielt. Das war nicht spektakulär, aber wir haben gesagt: 'Wir nehmen mal den Punkt mit.' Und das können sie nicht."
Warum brechen die Bayern so oft ein?
Es ist das größte Rätsel im Bayern-Universum. "Wir hören nach dem Tor (1:0 durch Ivan Perisic in der 49. Minute, d. Red.) komplett auf. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Darüber müssen wir reden", kündigte Salihamidzic frustriert an.
Es war nicht das erste Mal, dass die Bayern in dieser Saison ein Spiel leichtfertig aus der Hand geben. Woran liegt es also? Konditionelle Probleme sollen es nicht sein. Die Mannschaft ist fit, hat dies in intensiven Spielen auch schon mehrfach in dieser Saison unter Beweis gestellt.
Bleibt unweigerlich die Frage nach der Mentalität. Dass die Mannschaft kann, wenn sie will, zeigte sie zuletzt gegen Tottenham Hotspur (7:2), vor allem gegen Borussia Dortmund (4:0).
Wie ist die Stimmung im Team?
Angeknackst.
Kimmich wollte am liebsten "durchdrehen". Müller wirkte auch beim Reservisten-Training am Sonntag noch angefasst, hatte am Abend zuvor gesagt: "Nach zwei Niederlagen ist die Stimmung nicht brillant. Wir müssen Mittwoch (gegen Tottenham, Anm. d. Red.) gewinnen und in der Bundesliga noch neun Punkte holen, sonst sieht es schattig aus."
Am Sonntagabend stieg beim FC Bayern die mannschaftsinterne Weihnachtsfeier. Es dürfte schon einmal ausgelassenere Partys gegeben haben.
Was wird aus Philippe Coutinho?
Der Durchbruch in München will ihm einfach noch nicht gelingen. Bei einem Fanclub-Besuch machte er zuletzt klar, dass er besser spielen wolle und auch müsse. Gegen Mönchengladbach saß der Brasilianer nur auf der Bank. Auch, weil sein Spielstil nicht zum Gegner gepasst hat.
Hinzu kommt, dass Coutinho in seinen bisher 18 Pflichtspieleinsätzen (drei Tore/fünf Assists) nur selten überzeugt hat. Dass ihn die Bayern im Sommer für 120 Millionen Euro fest verpflichten, ist derzeit unwahrscheinlich. Ein Wunschtransfer der Bayern bleibt Kai Havertz von Bayer 04 Leverkusen.
Wird Bayern noch Meister?
Unvergessen, wie die Münchner in der Vorsaison neun Punkte Rückstand auf Verfolger Borussia Dortmund aufholten. In dieser Spielzeit gibt es mit RB Leipzig einen weiteren, ernst zu nehmenden Konkurrenten um den Meistertitel, und die Gladbacher sind enteilt.
"Auch wenn es in Anführungszeichen nur sieben Punkte sind, glaube ich, dass es diese Saison deutlich schwieriger wird", vermutet Kimmich. Aber erst die Rückrunde wird zeigen, wer am besten mit Doppel- oder Dreifachbelastung umgehen kann.
Die Meinung von Trainer-Legende Huub Stevens im CHECK 24 Doppelpass: "Wir sind erst im Dezember. Gladbach und Leipzig sind jetzt aber die Favoriten."