Fuchsteufelswild tobte Niko Kovac an der Seitenlinie. Er schimpfte, gestikulierte wild mit den Armen und brüllte in Richtung von Joshua Kimmich. Wenige Sekunden zuvor, es war die 56. Spielminute im Spiel gegen Hertha BSC, hatte Kimmich in der Vorwärtsbewegung leichtfertig einen Ball verloren.
Wie sich Kovac bei Bayern neu erfand
Daraus resultierte ein Angriff für die Berliner und ein Schuss von Davie Selke, den Kimmich selbst von der Linie kratzte. Es wäre die Führung für die Hertha gewesen. Am Ende gewann der FC Bayern glücklich mit 1:0.
Wie viel Korrektur ist bei Kovac angebracht?
Es war eine Szene, die symptomatisch für die Entwicklung von Kovac steht. Denn längst ist der Bayern-Trainer nicht mehr der Ruhepol mit dem Colgate-Lächeln. Der 47-Jährige hat sich im Verlauf der Saison verändert. Er wirkt derzeit verbissener, ernsthafter, angespannter - vor den Spielen und nach Spielende. Im Umgang mit den Spielern und auch öffentlich.
"Ich glaube, am Anfang hat er sich den Spielern gegenüber zu kumpelhaft verhalten. Das hat er in der Zwischenzeit korrigiert", stellte auch Uli Hoeneß im CHECK24 Doppelpass fest. Die Frage ist jedoch, wie viel Korrektur angebracht ist?
"Als Trainer ist es wichtig, dass man sich auch ein Stück weit treu bleibt", sagte Kimmich dazu. "Das hat er gemacht. Aber natürlich muss man sich auch anpassen, wenn man merkt, dass ein paar Sachen nicht funktionieren."
Das war vor allem im Herbst der Fall, woraufhin Kovac diverse inhaltliche Änderungen vornahm. Nicht nur - aber in erster Linie, weil es entscheidende Gespräche mit den Bossen um Präsident Hoeneß, Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge und Sportdirektor Hasan Salihamidzic gab. Zu denen auch Führungsspieler wie Kapitän Manuel Neuer, Thomas Müller, Robert Lewandowski und Franck Ribery zu Rate gezogen wurden.
Kovac ändert das System und verbannt die Rotation
So änderte Kovac zuallererst sein System. Von seinem präferierten 4-3-3 zum bei den Spielern geliebten 4-2-3-1. Wenig später verabschiedete er sich von der Rotation, installierte ein Gerüst von Stammspielern. In all den Wochen änderte er nicht nur sein Verhalten gegenüber den Spielern, sondern verschärfte auch den Ton seiner öffentlichen Wortwahl.
So kritisierte er etwa Niklas Süle auf einer Pressekonferenz und mahnte an, James Rodriguez müsse defensiv mehr leisten.
Die positiven Folgen stellten sich in Form von Ergebnissen durchaus ein - allerdings haben die Bayern noch immer spielerische Probleme. Homogen wirkt der Verbund zwischen Mannschaft und Trainer auch in diesen Tagen nicht.
Jetzt das Trikot von Bayern kaufen - hier geht es zum Shop! | ANZEIGE
Man erinnere sich an die Maulwurf-Debatte und die offen demonstrierte Unzufriedenheit etlicher Stars. Jüngstes Beispiel ist der Frust von Reservist Rafinha, der öffentlich erklärte, mangels Spielzeit von Kovac enttäuscht zu sein. Auch in Jerome Boateng (Innenverteidiger Nummer drei) brodelt es, in Bankdrücker Renato Sanches sowieso. Thomas Müller verkneift sich (noch) seinen Unmut über sein Joker-Dasein.
Dafür erfährt Kovac, auch wegen seiner Anpassung, derzeit enorme Unterstützung von der Führungsriege. "Wir haben einen Trainer, der in Frage gestellt wird. Aber wir sind in allen Wettbewerben noch dabei und mit Kritik können wir prima leben, solange die Ergebnisse stimmen", sagte Hoeneß.
Hoeneß beeindruckt von Kovac
Dem Präsidenten imponierte vor allem, wie Kovac im schwierigen Bayern-Umfeld die Herbst-Krise meisterte und sich in den Verein "hineingearbeitet" habe. Zur Erinnerung: Nach dem 3:3 im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf Ende November stand Kovac vor der Entlassung. Auch der Widerstand bei Teilen der Mannschaft gegenüber dem Coach erreichte seinen Höhepunkt.
Nach diesem Remis, so Hoeneß, seien "alle völlig fertig" gewesen und man "sei gut beraten gewesen, erst am Montag oder Dienstag das nächste Gespräch zu führen". Das Entscheidende sei danach aber gewesen, "dass die Spieler verstanden haben, dass sie nicht für den Trainer spielen, sondern für den FC Bayern". Das habe gefruchtet.
Kovac hat noch Baustellen
Zugleich ist diese Erkenntnis auch das Eingeständnis, dass es fortan mehr ein Zusammenreißen als Zusammenhalten beim FC Bayern war, vor allem im Geflecht zwischen Mannschaft und Trainer. Bis heute hält sich dieser Eindruck. Ebenso der, dass eine echte Spielphilosophie oder die vielfach zitierte Trainer-Handschrift, nicht zu erkennen sind. Der Stolz über die sportliche Kehrtwende scheint dies aber zu überdecken.
Zuletzt beeindruckte die Bosse das gewonnene Pokal-Achtelfinale bei Hertha BSC (3:2 n.V.) und das hart erkämpfte 0:0 im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Liverpool. "Das war Rasenschach auf allerhöchstem Niveau", lobte Hoeneß und stellte fest, dass "der Aufwärtstrend unserer Mannschaft ganz klar zu sehen" sei.
Kovac sei zudem ein "hochintelligenter" Trainer. Vom dem die Spieler nun aber sehen wollen, dass er die zuletzt kreativarme Offensive ankurbelt. Sie litt darunter, dass hinten zweimal in Folge die Null stand.
Kovac hat die Hoheit über James-Personalie
Jedenfalls hat sich Kovac mittlerweile derart behaupten können, dass die Bayern-Bosse glaubhaft vermitteln, langfristig mit dem Kroaten arbeiten zu wollen. Sichtbar wird dies auch anhand der Tatsache, dass sie ihrem Trainer indirekt die Entscheidung für Top-Transfers übertragen – wie bei James Rodriguez.
Noch immer ist nicht entschieden, ob der Kolumbianer für 42 Millionen Euro fest von Real Madrid verpflichtet wird. "Das hängt davon ab, ob Niko Kovac sagt: 'Den will ich behalten'. Wenn der Trainer zu uns sagt: 'Das ist ein super Kicker, aber der wird bei mir nicht regelmäßig spielen', dann kann man die 40 Millionen nicht ausgeben", so Hoeneß im CHECK24 Doppelpass.
Der kommende Radikal-Umbruch ist und wird also eng mit Kovac besprochen. Kein Transfer soll ohne Abstimmung mit ihm erfolgen. "Der Trainer ist bei uns über alles informiert. Wir sind ein Team", versicherte Hoeneß.
Ein solcher Verbund lässt sich zwischen dem veränderten Kovac und der Mannschaft jedoch (noch) nicht feststellen.
Schlusswort Kimmich: "Er entwickelt sich und wir als Mannschaft auch."