Am 28. September war die Welt bei Hertha BSC noch total in Ordnung.
Deshalb steckt Hertha im Stimmungsloch
Nach dem 2:0-Sieg gegen den FC Bayern waren die Berliner gleichauf mit dem Rekordmeister, Platz eins war nur einen Punkt entfernt. Die Hoffnung auf Europa lebte, die Fans träumten sogar von mehr.
Doch seitdem ist bei der "Alten Dame" der Wurm drin. Es folgten drei Remis, zwei Niederlagen und am vergangenen Samstag beim 3:3 im Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim eine weitere Punkteteilung. Nach zwölf Spielen belegen die Berliner Platz acht. Sportlich riecht es für den Hauptstadt-Klub mal wieder nach Mittelmaß, wenngleich ein Europa-League-Rang nur drei Punkte entfernt ist.
Das mag sportlich eine Bilanz sein, auf der sich aufbauen lässt. Allerdings gab es in den letzten Wochen und Monaten immer wieder Störfeuer, die für Unruhe im Klub sorgten. Die Hertha macht sich selbst das Leben schwer.
Co-Trainer Widmayer wollte weg
Da wäre zum Beispiel die Geschichte mit Co-Trainer Rainer Widmayer. Der 51 Jahre alte Schwabe wollte den Verein in Richtung VfB Stuttgart verlassen. Der VfB wollte den ausgewiesenen Fachmann mit Stallgeruch an die Seite des neuen Trainers Markus Weinzierl stellen.
Widmayer bat Geschäftsführer Michael Preetz um die Freigabe, doch die blieb aus. "Die Aufgabe, in Stuttgart mit Weinzierl zu arbeiten, hätte mich gereizt. Aber das Thema ist durch. Ich verstehe die Position von Hertha BSC voll und ganz. Ich habe einen Vertrag bis zum Sommer, den werde ich erfüllen. Was nach der Saison kommt, muss man sehen", sagte Widmayer im kicker.
Dass Widmayers Zukunft über den Sommer hinaus in Berlin liegt, wirkt auf dieser Basis aber unwahrscheinlich.
Ärger um Klub-Hymne
So oder so spitzt sich viel Kritik in Berlin immer wieder auf die Geschäftsleitung rund um Ex-Profi Preetz zu. Für Unmut sorgte auch eine Aktion zu Saisonbeginn. Thema hierbei: Die Vereins-Hymne "Nur nach Hause", seit 25 Jahren gesungen von Entertainer Frank Zander.
Vor dem ersten Heimspiel der Saison gegen den 1. FC Nürnberg wurde der Kult-Song erstmals nicht als Einlauflied im Olympiastadion abgespielt - sondern bereits einige Minuten vorher. Stattdessen hörten die Hertha-Anhänger Seeed mit "Dickes B" zum Einlauf der Teams aus den Boxen. Das führte zu großen Fan-Protesten. Die Klubführung lenkte später ein, es gab die Rolle rückwärts.
In einer einstündigen Sitzung gab es eine Aussprache zwischen Zander, Präsident Werner Gegenbauer sowie den vier Bossen der Geschäftsleitung: Manager Michael Preetz, Finanzboss Ingo Schiller, Geschäftsstellenleiter Thomas Herrich und Markenboss Paul Keuter.
Klub-Ikone Kruse: "Die Leute im Verein mitnehmen"
"Ich bin mir sicher, dass der Klub mit besten Absichten gehandelt hat, was nicht bedeutet, dass das eine gute Idee war", sagt Axel Kruse, von 1989 bis 1991 und von 1996 bis 1998 für die Berliner aktiv, im Gespräch mit SPORT1. Kruse hat noch einen guten Draht zu seinem Ex-Klub und kann einschätzen, was sich bei den Berlinern abspielt.
Für den 51-Jährigen ist entscheidend, "dass die Geschäftsleitung darauf gehört und ihren Fehler sofort korrigiert hat. Immer wieder neue Ideen einzubringen, ist richtig und wichtig. Man muss aber versuchen, die Leute im Verein mitzunehmen."
Auf diesem Weg versuchte Preetz am Montagabend bei der Mitgliederversammlung, den nächsten Schritt zu machen. "Das war ein Fehler, den wir umgehend korrigiert haben", sagte er da zur Hymnen-Thematik.
Fahnenverbot wieder aufgehoben
Ohnehin hat Preetz keine leichten Wochen hinter sich. Nach den Fan-Ausschreitungen beim Auswärtsspiel in Dortmund erließ der Verein ein Fahnenverbot für das nächste Heimspiel gegen RB Leipzig. Ein Stimmungsboykott war die Folge.
Auch hier versuchen die Berliner, einen Schritt auf die Anhänger zuzumachen. Das Verbot wurde aufgehoben, der Dialog soll wieder intensiviert werden. "In der Vergangenheit haben beide Seiten Fehler gemacht“, gab Preetz am Montagabend zu.
Er weiß schließlich: Zu viele Nebenkriegsschauplätze kann sich ein Bundesligist nicht erlauben. Sie gefährden den sportlichen Erfolg.
Teile der Fanszene gegen Keuter
Und der ist letztlich die Basis für das, was die Herthaner seit Jahren vorantreiben: Den Klub zu einer größeren Marke im nationalen und internationalen Fußball-Business zu machen.
Das ist die Kernaufgabe von Keuter. Der frühere Twitter-Sportchef ist seit Januar 2016 bei Hertha in der Geschäftsleitung tätig. Und für Teile der Fans sind er und seine Digitalisierungs-Offensive ein rotes Tuch. Sie machen an ihm all das fest, was sie am modernen Fußball stört, schießen in ihrer Kritik aber immer wieder über das Ziel hinaus.
Beim 0:0 gegen den VfL Wolfsburg Ende März erregte ein Banner im Fanblock in der Ostkurve die Gemüter. "Wer zu viel postet, hat irgendwann nichts zu lachen! Keuter, Dein Ende naht!", stand darauf - eine recht unverhohlene Drohung.
Beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach wurde auf einem Plakat der neueste Hertha-Werbeslogan "In Berlin kannst Du alles sein. Auch Herthaner" umgewandelt in: "In Berlin kannst Du alles sein. Auch arbeitslos - Keuter raus!".
Als kürzlich auch noch das Mietshaus, in dem Keuter mit seiner Familie wohnt, beschmiert wurde, schaltete sich das LKA ein.
Solidarisierungs-Aktion findet nicht statt
Dass Preetz anschließend eine Solidarisierungsaktion für Keuter plante, bei der die Mannschaft angeblich nicht mitmachen wollte, schlug hohe Wellen.
"Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle wollten eine Solidaritätsaktion für Paul Keuter initiieren, wollten ein Zeichen für ihren Kollegen setzen. Was ich übrigens großartig finde", findet Kruse. "Michael Preetz hat das daraufhin mit der Mannschaft besprochen. Da gab es zuerst ein Ja und dann ein Nein. Hätte er daraus eine Machtfrage gemacht, hätte er sich sicher auch durchgesetzt."
Der Verein wollte sich auf SPORT1-Anfrage nicht zu diesem Ablauf äußern.
Preetz habe die Entscheidung der Mannschaft aber auf sich beruhen lassen, versichert Kruse, "obwohl er als Chef es hätte anweisen können. Es war einfach als Aktion für den inneren Zusammenhalt angedacht."
Hertha braucht wieder Siege
Der muss jetzt schleunigst wieder her. Der stürmische Herbst hat der Hertha sechs sieglose Spiele beschert. Kruse sieht im Remis nach Rückstand gegen Hoffenheim zumindest den ersten richtigen Schritt.
"Manchmal sind nicht nur die Ergebnisse entscheidend, sondern auch der Weg dahin", sagt er. "Gegen Hoffenheim hat sich die Mannschaft von ihrer besten Seite gezeigt: temporeich und kampfstark bis zur letzten Minute. Das waren ein Punkt für die Tabelle und drei für die Moral."
In Hannover am Samstag sollte jetzt dringend mal wieder ein Sieg her. Damit sich die Wolken über der Hertha weiter aufhellen können.
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