Es ist der 30. August 2009. Es läuft die 27. Minute im belgischen Topspiel RSC Anderlecht gegen Standard Lüttich. Lüttichs Axel Witsel läuft den linken Flügel hinunter, dem Ball hinterher. Auch Anderlechts Marcin Wasilewski will die Kugel erobern, ist deutlich früher dran als sein Gegner. Wasilewski setzt zur Grätsche an, schießt den Ball nach vorne.
Witsels kurioser Karriereweg
Aber was macht Witsel? Anstatt über den Polen zu springen, hält er seinen Stollenschuh gestreckt aus vollem Tempo auf Wasilewskis Bein und zertrümmert ihm dieses so brutal, dass dessen Mitspieler sich vor Schock nicht mehr rühren kann.
Wasilewski kann trotz seiner schlimmen Verletzung ein gutes halbes Jahr später wieder normal in den Ligabetrieb einsteigen, doch für Witsel, das damals vielleicht größte Talent des belgischen Fußballs, markiert dieser Moment eine Wendung seiner öffentlichen Wahrnehmung - vom Supertalent zum Brutalo-Treter.
Er wird für acht Monate gesperrt und muss nach der darauffolgenden Saison Lüttich verlassen.
Witsel: Horror-Foul führt zur Odyssee
Witsels erster Wechsel von seinem Heimatklub führt 2011 zu Benfica Lissabon nach Portugal. Der große Durchbruch bleibt ihm verwehrt, nur ein Jahr später endet das Unternehmen Benfica mit einem Transfer ins vom großen Fußball ferne Russland, wobei er sogar eine Offerte von Real Madrid ausschlug.
Spätestens bei Zenit St. Petersburg verliert der gemeine Fußballfan das einstige Juwel aus den Augen. Ab und an sieht man ihn mit seinen zotteligen Haaren in der Champions League, zum Beispiel 2014 im Achtelfinale gegen Borussia Dortmund. Witsel? Ach ja, dieser eine Belgier, der das Horror-Foul begangen hat.
Es gehen vier Jahre ins Land, dann zieht es den inzwischen 27-Jährigen gänzlich weg aus Fußball-Europa, obwohl er Angebote von Juventus Turin und Manchester United hatte. Tianjin Quanjian heißt sein neuer Verein in China, bei dem er mit dem Brasilianer Alexandre Pato spielt. Pato, noch so ein ehemaliges Supertalent.
WM mit Belgien als spätes Witsel-Sprungbrett
Und während Pato den Irrweg seiner nie erfüllten Karriere-Prophezeiung weitergeht, wird ein Ereignis - ausgerechnet in Russland - für Witsel zum späten Sprungbrett. Denn trotz seiner in der Welt verstreuten Vereine hat man ihn in Belgien nicht vergessen.
Egal, wo er gespielt hat - für die belgische Nationalmannschaft wurde Witsel immer nominiert. Sei es unter Marc Wilmots oder seit 2016 unter Roberto Martinez. Witsel war immer ein fester Bestandteil des Teams, auch bei der WM 2018 in Russland.
Mit Belgien kam der 96-malige Nationalspieler bis ins Halbfinale, spielte sechs der sieben Spiele über die volle Distanz. Er überzeugte mit souveränem Passspiel und giftiger Defensive.
Das erkannte auch Borussia Dortmund und bringt Witsel neun Jahre nach dem Horror-Foul von Anderlecht und einer langen Odyssee den inzwischen 29-jährigen Axel Witsel erstmals in eine der großen europäischen Ligen.
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