Der freie Fuß. Wenn Thomas Tuchel nach der Abreibung in München schlecht geträumt haben sollte, dann von ihm. Dem freien Fuß.
Der beste Boateng aller Zeiten
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Immer wieder kam Dortmunds Trainer in seiner Aufarbeitung der 1:5-Niederlage in München auf ihn zu sprechen.
"Jerome Boateng hat den Ball auf dem freien Fuß und das Spiel vor sich. Da haben wir gegen elementare Verteidigungsregeln verstoßen", beschrieb Tuchel die beiden Schlüsselszenen der Partie.
Guardiola macht Boateng zum Matchwinner
Vor dem 1:0 durch Thomas Müller, das den FC Bayern am Sonntag erst ins Spiel brachte, und beim vorentscheidenden 3:1 durch Robert Lewandowski fand Boateng seine Mitspieler im freien Raum hinter der BVB-Abwehr. Mit perfekt getimten Pässen. Mit seinem freien Fuß.
Zum ersten Mal in seiner Bundesliga-Karriere bereitete der 27-Jährige zwei Tore vor - und wurde damit zum Matchwinner.
"Mit seinen diagonalen Bällen zwischen die Linien ist er überragend. Jerome ist im Aufbau einer der besten Spieler überhaupt", sagte Pep Guardiola.
Der Bayern-Trainer hatte nach einer Viertelstunde gegen Dortmund taktisch umgestellt und Boateng ins Zentrum der Dreierkette gestellt.
Boateng: Weltklasse in Zahlen
Und der dankte es ihm mit einer überragenden Vorstellung als unumstrittener Chef in der Defensive – und im Spielaufbau. 90 Mal war der Weltmeister am Ball, der Topwert aller Akteure auf dem Platz.
Zehn Mal eröffnete er das Spiel mit langen Bällen aus der eigenen Hälfte - und kam dennoch auf die beeindruckende Passquote von 85 Prozent. Dass er mehr als zwei Drittel seiner Zweikämpfe gewann und mit 33,6 km/h die höchste Geschwindigkeit aller Spieler erreichte, gehört bei hm mittlerweile schon fast zum Standard.
"Er ist einer der besten Innenverteidiger der Welt. Er wirkt pomadig, aber er ist es nicht. In den letzten zwei Jahren spielt Boateng auf absolutem Weltklasseniveau", schwärmte Franz Beckenbauer über die jüngste Entwicklung des Nationalspielers.
Boatengs Wandel
Die ungestüme Zappeligkeit im Zweikampf, mit der Boateng früher oft an den Nerven seiner Trainer zerrte, hat er längst abgelegt. Ebenso die zweitweisen Konzentrationsschwächen, die ihm am Anfang seiner Karriere häufig als Phlegma angelastet wurden.
Die beiden Pole - Aggressivität und Behäbigkeit - hat er mittlerweile in einem bemerkenswerten Kompromiss aufgelöst: Er wirkt entschlossen im Zweikampf, ruhig und souverän im Stellungsspiel und elegant in der Ballbehandlung.
Kein Wunder also, dass Thomas Müller sich für die Vorlage bedankte, indem er Boateng als "Kaiser" adelte.
Guardiola: "Jerome ist Jerome"
Dass sein Abwehrchef im Moment auf dem absoluten Höhepunkt spielt, sieht auch Guardiola so. Den Vergleich mit dem jungen Beckenbauer hält er trotzdem nicht für angebracht: "Das ist nicht gut für Jerome. Franz Beckenbauer ist die Nummer eins. Jerome ist Jerome."
Und Jerome blieb auch Jerome. Auch nach seinem vielleicht besten Spiel im Bayern-Trikot war von kaiserlicher Redseligkeit nichts zu hören. "Es ist ein schönes Gefühl", sagte Jerome nur und verschwand in der Kabine. Und nahm seinen freien Fuß mit.