Von der Tournee berichtet Andreas Kloo
Mit Lockerheit in Hannawalds Fußspuren
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Innsbruck - Der Bergisel bei Innsbruck war schon immer ein guter Ort, um Geschichte zu schreiben.
Ob der österreichische Freiheitskämpfer Andreas Hofer oder die deutschen Skisprung-Legenden Jens Weißflog und Sven Hannwald.
Sie alle haben sich mit ihren Siegen auf dem mythischen Tiroler Berg unsterblich gemacht.
In diese Reihe klangvoller Namen hat sich nun auch Richard Freitag eingereiht.
Am Sonntag holte er in Innsbruck den ersten deutschen Tagessieg bei der Vierschanzentournee seit dem Jahr 2002 (BERICHT: Traumflug durch die Gewitterwolken)..
Und doch war er sich hinterher der historischen Tragweite seines Erfolgs gar nicht so richtig bewusst.
Hannawald gratuliert
"Ich habe das Geschichtliche nicht so im Kopf", gab er zu und wiegelte Vergleiche mit dem historischen Grand-Slam-Sieger Hannawald ab:
"Die Fußspuren von Hannawald sind ein Stück größer, da muss ich noch ein paar Socken anziehen." Hannawald selbst gratulierte am Montag via "Twitter": "Glückwunsch an Richard Freitag für seinen phänomenalen Sieg. Die erzgebirgische Tradition lebt weiter."
Neben den Siegen in Innsbruck gibt es noch eine andere Tradition, die Freitag mit Hannawald und Weißflog verbindet ? seit Geburt an. Alle drei kamen im gleichen Krankenhaus in Erlabrunn zur Welt, Freitag am 14. August 1991.
Offenbar wird den Säuglingen das Skisprung-Talent in der Klinik im Erzgebirge wortwörtlich in die Wiege gelegt.
Bei Freitag taten dazu die Gene seines Vaters Holger ihr Übriges. Der war ebenfalls aktiver Skispringer und Olympiateilnehmer für die DDR 1984.
Die Fußspuren seines Vaters hat Freitag längst ausgefüllt.
Schon im Dezember 2011 zog er mit ihm gleich, als er wie sein Vater 28 Jahre zuvor das Springen in Harrachov gewann.
Seitdem ist Freitag fester Bestandteil in der Weltspitze des Skispringens.
Zuschauer beim Team-Gold
Zunächst ging es stetig bei ihm bergauf. 2013 ließ er die Weltcupsiege zwei und drei folgen.
Auch der Formaufbau Richtung Olympia in Sotschi schien zu klappen, ehe ihn ein Ermüdungsbruch im linken Mittelfuß außer Gefecht setzte.
Freitag kämpfte für seinen Olympia-Traum und pausierte wohl auch zu kurz.
Die Folge: In Sotschi war er nicht in Topform. Nach mittelmäßigen Ergebnissen in den Einzelspringen nominierte ihn Bundestrainer Werner Schuster nicht für das Teamspringen.
Und so war Freitag nur Zuschauer, als seine vier Teamkollegen zur Goldmedaille flogen. Ein Tiefschlag für den 23-Jährigen.
Ein verpasstes Erfolgserlebnis an sich tut schon weh. Wenn man aber durch die Teamkollegen vorgeführt bekommt, dass es möglich gewesen wäre, macht es das noch schmerzhafter.
"Am Anfang war es relativ schwer, zu realisieren: "Hey, da bist du an der Chance vorbeigeschrammt", blickte Freitag bei SPORT1 auf die harte Zeit im Frühjahr zurück.
Kämpfernatur Freitag
Doch Freitag hat in seinem Leben nicht nur Skispringen gelernt, sondern auch Kämpfen.
"Als ich noch jünger war, stand mir mein Kopf ziemlich oft im Weg. Ich musste mich da oft durchbeißen und wieder heran kämpfen", erzählte er einst in einem SPORT1-Interview.
Und so fightete er sich auch diesmal wieder aus seinem Loch.
Freitag analysierte, was zu tun ist und nahm persönliche Umstellungen vor.
Er wechselte die Skimarke und beschäftigte sich mit anderen Themen wie zum Beispiel der Physiotherapie.
Die neue Lockerheit
Im Sommer 2014 gewann der Sachse auch eine Spur Lockerheit hinzu.
"Wichtig sind nicht immer die Ergebnisse, sondern ob ich mich wohl fühle.Ich springe wieder aus dem Grund, aus dem ich einmal angefangen habe, nämlich dass Skispringen arschgeil ist", beschrieb Freitag kürzlich seine neue Einstellung (DATENCENTER: Das Ergebnis des 3. Springens).
Auch Schuster hat bei Freitag eine Wandlung festgestellt: "Er macht gerade eine interessante Phase in der Persönlichkeitsentwicklung durch. Er ist zugänglicher geworden. Er fängt an, es zu genießen, vor Publikum zu springen."
Tatsächlich spornte Freitag die Stimmung im Innsbrucker Hexenkessel am Sonntag zusätzlich an.
Sieg in Engelberg weckt Erwartungen
Vor allem aber lässt sich Freitag von Rückschlägen nicht mehr so leicht aus der Bahn werfen.
Das bewies er zuletzt zweimal. Nach dem Saisonauftakt erwischte Freitag im Dezember einen grippalen Infekt. Er musste pausieren, die Tournee-Teilnahme war in Gefahr.
Doch mit einem Sieg im letzten Springen vor der Vierschanzentournee meldete er sich in Engelberg eindrucksvoll zurück (DATENCENTER: Die Gesamtwertung der Tournee).
"Danach waren die Erwartungen an ihn etwas zu hoch", erinnert Schuster an Experteneinschätzungen, die Freitag zum Geheimfavoriten für den Tourneesieg machten.
Mit dem erhöhten Druck kam Freitag in Oberstdorf nicht zurecht und flog klar an den Top 10 vorbei.
Doch wieder zeigte er seine Kämpfernatur und setzte auf ein Erfolgsmittel, das er so beschreibt:
"Ich denke, dass zumindest an der Spitze des Springerfeldes alles Kopfsache ist. Sicherlich kommen auch noch ein paar äußere Faktoren hinzu. Insgesamt weiß man aber, dass man die Sprünge drauf hat und ob sie im entscheidenden Moment dann auch wirklich kommen, ist Kopfsache."
In Innsbruck hatte er den Kopf frei und belohnte sich mit dem Sieg (Abschlussspringen in Bischofshofen am Do., ab 16.15 Uhr, im LIVE-TICKER).
Sauberer Flieger
Skisprungtechnisch passt es ohnehin bei Freitag.
Die deutschen Bundestrainer Schuster und Stefan Horngacher hatten sein Talent schnell erkannt und es weiter gefördert.
Schuster gefällt vor allem Freitags ruhige Technik: "Er springt extrem sauber." Im Gegensatz zu manch anderen Springern ist bei Freitag nichts Ruckartiges beim Absprung, kein großes Pendeln mit den Skiern in der Luft zu erkennen.
Das ist auch bei den im Skispringen nicht unwichtigen Haltungsnoten von Vorteil.
Verbunden mit seiner sicheren Telemarklandung erntete Freitag dafür am Sonntag einmal die Traumnote 20,0.
Experte für kleine Schanzen
Der frühere Tourneesieger Dieter Thomas bezeichnete Freitag bei SPORT1 nach dessen ersten Weltcup-Sieg als "Rückenwindspringer".
Klingt komisch, da ja alle Skispringer den Aufwind lieben, auf den sie sich tragflächenartig legen können.
Auch bei Freitags Traumflügen am Sonntag herrschten zweimal Aufwindbedingungen.
Was Thoma meint: Freitag holt am Schanzentisch viel raus und verschenkt wenig in der Luft.
Andere wie der Slowene Robert Kranjec oder der Norweger Rune Velta können mit dem Aufwind spielen und dadurch viele Meter rausholen - aber auch viel verlieren.
"Auf kleineren Schanzen ist der Richie schwer zu schlagen", hält Schuster fest.
Freitags nächste große Stunde könnte deshalb am 21. Februar schlagen. Dort findet bei der WM in Falun das Springen von der Kleinen Schanze statt.
Mit einer Goldmedaille wären Hannawalds Fußspuren schon ein Stück mehr ausgefüllt.