Die Panne des Veranstalters passte irgendwie zu Erik Lesser.
Biathlon-Arbeiter macht Deutschland glücklich
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Der neue Weltmeister in der Verfolgung bei der Biathlon-WM wurde in der offiziellen Pressemitteilung der finnischen Gastgeber kurzerhand als Erik "Lasser" bezeichnet. Dem 26-Jährigen Thüringer dürfte es herzlich egal sein (Biathlon-WM: Zeitplan und Ergebnisse).
Denn Starallüren im Stile von Martin Fourcade oder Emil Hegle Svendsen sind diesem Lesser fremd. Er ist ein Biathlon-Arbeiter, der sich still und leise immer für die Großereignisse in Topform bringt.
"Das ist einfach Freude pur und eine große Genugtuung. Erik hat das sensationell gemacht", sagte Bundestrainer Mark Kirchner, der Lesser seit Jahren in Oberhof betreut.
Lesser fehlerlos wie bei Olympia
So war es schon bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Neben Rang zwei mit der Staffel sicherte er dem DSV im Einzelrennen mit Silber die einzige Einzelmedaille.
Genau wie nun bei seinem WM-Coup setzte Lesser damals seine 20 Schuss mit traumwandlerischer Sicherheit ins Ziel und verhinderte den Gau der vor allem in Deutschland medialen Königsdisziplin des Wintersports.
Seinem Erfolgsrezept von Sotschi blieb er nun auch am windigen Schießstand von Kontiolahti treu - keiner der 59 Kontrahenten blieb fehlerfrei: "Ich habe einfach nur von Schuss zu Schuss gedacht." Diese Coolness ist Lessers hervorstechendste Eigenschaft.
Gruß an Erzgebirge Aue
Obwohl er vorher noch keinen einzigen Weltcup-Sieg auf dem Konto hatte, zog er seine letzte Schießeinlage ohne das kleinste Anzeichen von Nervosität durch.
Im Ziel jubelte der neue Weltmeister wieder mit überkreuzten Armen - ein Verweis auf die gekreuzten Hämmer der Bergleute. Denn Lesser ist glühender Anhänger des Fußball-Zweitligisten FC Erzgebirge Aue. Das "Glück Auf" ließ er sich am bisher größten Tag seiner Karriere nicht nehmen.
"Auch von uns aus dem gesamten Veilchen-Lager die allerherzlichsten Glückwünsche für Erik, der damit ganz Großes geleistet hat! Es berührt uns und macht uns wahnsinnig stolz, wenn Erik in einem für sich persönlich so wichtigen Augenblick in Gedanken auch bei uns ist und an den FC Erzgebirge Aue denkt", gratulierte Aues Trainer Tomislav Stipic bei SPORT1.
Zitat von Gerrard motiviert
Der entscheidende Motivationsschub kam jedoch von einer Legende eines englischen Arbeiterklubs - dem FC Liverpool.
"Ich habe mich an ein Interview von Steven Gerrard erinnert, in dem er sagte: 'Gib alles oder enttäusche alle'", erklärte Lesser und beendete die vierjährige Titelflaute der deutschen Männer.
So sehr er sich auch für Fußball interessiert: Lesser würde sich mehr Aufmerksamkeit für den erfolgreichen Wintersport wünschen, so sei es in Norwegen "schon krass" wie selbst die Saisoneröffnung zelebriert werde.
Lesser ist meinungsstark
Lesser ist eben ein Typ, der über den Tellerrand hinausschaut und gern aneckt. Die Dopingsperre für die ehemalige Teamkollegin Evi-Sachenbacher-Stehle kritisierte er vor der Saison öffentlich als zu lasch.
"Ich kann es nicht gutheißen: Wenn jemand positiv getestet ist, dann bekommt er laut Statuten zwei Jahre. Da darf man nicht anfangen und sagen: Der ist jetzt weniger schuld, der mehr", hatte Lesser gesagt.
Bei Olympia hätte er am liebsten den Medaillenspiegel abgeschafft. "Wir müssen das echt verbieten. Wir haben die Silbermedaille gewonnen, und nicht irgendwelche anderen, die denken, sie müssen Medaillen zählen", stichelte Lesser seinerzeit.
Druck vom DSV-Team genommen
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Anti-Star nun zum zweiten Mal den großen medialen Druck der nach Medaillen gierenden Öffentlichkeit von den Skijägern nahm.
Die eigenwillige Aufstellung der Mixedstaffel hatte auch bei den Experten für Stirnrunzeln gesorgt. Die suboptimalen Sprintrennen lieferten den Kritikern zusätzliche Munition.
Dank Laura Dahlmeiers zweitem Rang in der Verfolgung der Frauen und eben Lesser kann das deutsche Team nun die Ruhetage genießen und die nächsten Rennen unbeschwert angehen.
Langlauf-Großvater übertroffen
Für Lesser wird Kontiolahti ohnehin zur zweiten Heimat. Vor fünf Jahren debütierte er hier im Weltcup als 44. Im Sprint, nun übertraf er an gleicher Stelle sogar seinen Großvater.
Langläufer Axel Lesser holte bei der Nordischen Ski-WM 1970 mit der DDR-Staffel Silber, ihm hatte der Enkel schon sein Olympia-Silber gewidmet.
Am Donnerstag könnte Erik Lesser dann noch eins draufsetzen, dann steht das WM-Einzel auf dem Programm (ab 17.15 Uhr im LIVETICKER). "Ein Ziel nehme ich mir jetzt noch nicht vor", sagt der Weltmeister.
Sollte er wieder alle 20 Scheiben abräumen, wird er vielleicht auch endlich richtig geschrieben.