Es war nur ein kurzer Flirt mit dem Gelben Trikot, wenige Minuten lang, virtuell. Im Juragebirge kraxelte Emanuel Buchmann in einer Fluchtgruppe über steile Anstiege und durfte sich Hoffnungen auf die Erfüllung des Traums aller Radprofis machen.
Majka stürzt - Buchmann Kapitän
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"Ich wusste, dass ich der Bestplatzierte in der Gruppe war", sagte Buchmann, "aber es war noch ein sehr, sehr weiter Weg ins Ziel."
Der Weg zum Etappenende an der Station des Roussess stellte sich als zu weit heraus. Im Schlagabtausch der Ausreißer verlor er am Samstag den Anschluss, zudem erhöhte die Sky-Formation um Titelverteidiger und Spitzenreiter Christopher Froome im Hauptfeld den Druck in der Nachführarbeit.
Die Zeit für den Sprung ins "Maillot jaune" war noch nicht reif. Doch es ist keine Utopie, dass der hochbegabte 24-Jährige einmal das begehrte Stück Stoff auf seinen Schultern tragen könnte. Schon jetzt ist Buchmann der hoffnungsvollste deutsche Rundfahrer, auch auf der Königsetappe der 104. Tour am Sonntag hielt er lange mit den Besten mit.
Im deutschen Radsport nimmt Buchmann eine Sonderstellung ein. Sprinter wie Marcel Kittel und André Greipel oder Zeitfahr-Ass Tony Martin sorgten in der Vergangenheit für Siege in Serie, Kittel allein gewann bei der Tour 2017 bereits drei Etappen.
Mehr Verantwortung für Buchmann
Talentierte Rundfahrer wie Buchmann sind dagegen rar gesät.
Buchmann hat das Potenzial, diese seit langem klaffende Lücke im deutschen Radsport zu schließen. "Ich mache mir auch Hoffnungen, dass ich bei einer großen Rundfahrt vorne mitfahren kann", sagte der schmale Ravensburger, "aber ein Kandidat für den Tour-Sieg bin ich noch nicht." Im Kampf um das Weiße Trikot des besten Nachwuchsprofis ist dagegen bereits mit ihm zu rechnen.
Bei dieser Tour sollte Buchmann beim deutschen Team Bora-hansgrohe als Edelhelfer von Rafal Majka fungieren und weiter lernen. Aber nach dem Sturz des Polen muss Buchmann, der außerhalb der Rennen oft zurückhaltend und schüchtern wirkt, noch mehr Verantwortung übernehmen.
Manager Ralph Denk (43) verfolgt mit Buchmann und dem Team Bora große Pläne. Denk hat die Mannschaft mühevoll in die World Tour geführt, die Verpflichtung des von der Tour de France ausgeschlossenen Weltmeisters Peter Sagan war ein Coup.
Der nächste Jan Ullrich?
Seine Vision, "das beste Team der Welt zu werden", hat sich aber noch nicht verwirklicht. Was fehlt? "Dass wir mal die Tour gewinnen", sagte Denk: "Wir haben Leute in unseren Reihen, die das irgendwann mal drauf haben."
Dazu zählt auch Buchmann. Beim wichtigen Tour-Härtetest Critérium du Dauphiné verblüffte er als Gesamtsiebter, im kommenden Jahr startet er womöglich erstmals als echter Kapitän in eine große Landesrundfahrt.
Die Tour 2018 kommt für Buchmann aber wohl noch zu früh. Dennoch scheint auch eine Führungsrolle bei der Frankreich-Rundfahrt nur eine Frage der Zeit zu sein. "Ein Jan Ullrich", sagte Denk, "hat auch erst für Bjarne Riis fahren müssen."
Buchmann hatte vor der Tour im SPORT1-Interview zwar erklärt, dass er als Helfer für Majka angedacht war, man allerdings nie wisse, was in drei Wochen passiert. Der 24-Jährige hatte seinem Kapitän einen Platz unter den Top fünf zugetraut - nun muss er selbst in die Bresche springen. Zumindest um das Trikot des besten Jungfahrers kann Buchmann mitkämpfen.