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SPORT1-Kolumne: Raphael Honigstein über Jürgen Klopp und Liverpool

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SPORT1-Kolumne: Raphael Honigstein über Jürgen Klopp und Liverpool

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Ein angsteinflößendes Gesamtkunstwerk

Vor dem Viertelfinal-Rückspiel in der Europa League gegen Borussia Dortmund spricht SPORT1-Kolumnist Raphael Honigstein über Anfield unter Flutlicht.
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© SPORT1-Grafik: Honigstein / Imago

"Eine besondere Stimmung herrscht in der Stadt”, sagt Andy Heaton, "eine positiv aufgeladene Nervosität, wie wir sie hier zuletzt im Mai 2014 erlebt haben, als wir fast Meister geworden wären”.

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Heaton ist einer Macher des preisgekrönten "The Anfield Wrap”-Podcasts und hat momentan eigentlich gar keine Zeit zum Reden: er produziert mit seinen Kollegen ein halbes Dutzend Sondersendungen vor dem Europa League-Rückspiel gegen Borussia Dortmund.

Der Bedarf an Informationen und Meinungen ist vor dem Match mit dem Bundesligisten an der Mersey nahezu unersättlich. 

Der FC Liverpool ist der Verein auf der Insel, der sich auf Grund seiner fünf Siege im Landesmeisterwettbewerb bzw. in der Champions-League am stärksten über den Europapokal definiert.

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Die Trostrunde in der Europa League wurde zu Anfang der Saison als eher peinlich und lästig empfunden, doch nach dem überraschend starken 1:1 im Westfalenstadion vor einer Woche ist der rote Anhang voller Vorfreude. Heaton: "Man kann es nicht nur spüren, sondern auch sehen. Die Liverpool-Fans gehen anders, mit dem Kopf nach oben und geschwollener Brust, sie wippen ein wenig dabei."

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Swagger nennen die Engländer dieses schwungvolle Lebensgefühl, das nur ein begeisternd spielendes Fußballteam auslösen vermag. 

Neben der Aussicht auf die erste kontinentale Trophäe seit dem legendären Triumph im Elfmeterschießen gegen den AC Milan in Istanbul (2005) und der Teilnahme an der Champions League durch die Hintertür erregt auch der rein sportliche Wert des Duells die Gemüter.

Liverpool war als Außenseiter ins Hinspiel bei der schwarz-gelben Tormaschine gegangen, mit dem Bewusstsein der Unterlegenheit und ein wenig "Beklommenheit”, wie das Liverpool Echo schrieb. Die taktisch ungeahnt souveräne Leistung von Jürgen Klopps Elf zeigte jedoch, auf welch hohem Level das Team mittlerweile spielen kann.

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Verstärkt wurde der gute Eindruck durch ein 4:1 gegen Stoke City in der Liga am Samstag. "Es hat etwas gedauert, aber in den vergangenen Wochen konnte man eine kontinuierliche Verbesserung feststellen”, sagt Heaton.

"Das Spiel gegen Stoke war besonders schön, weil wir zum ersten Mal gegen einen der etwas kleineren Mannschaft so gut waren, wie wir es bisher nur in den großen Spielen geschafft haben. Man kann jetzt nicht nur sehen, dass es vorwärts geht. Sondern auch den konkreten Weg, auf dem vorwärts geht”. 

Ein knappes halbes Jahr nach Klopps (insgesamt eher schlappen) Heimdebüt beim 1:1 gegen Rubin Kasan in der Europa League verspricht das Match heute Abend wieder eine Art von Premiere: zum ersten Mal in der Ära Klopp - und zum ersten Mal seit den glorreichen Champions-League-Tagen unter Rafael Benítez, als ausländische Spitzenteams in schöner Regelmäßigkeit in Grund und Boden geschrien und gespielt wurden - versprechen Anfield Road und Mannschaft unter Flutlicht zu einem angsteinflößenden Gesamtkunstwerk zusammen zu kommen.

“Die Atmosphäre wird elektrisch sein,” sagt Mittelfeldspieler Joe Allen, “die Fans werden bedingungslos hinter uns stehen und es dem Gegner sehr schwer machen.” 

Klopp versucht wie in Dortmund, das Publikum gezielt als sportliche Waffe einzusetzen. Das hat hier Tradition.

1965, bei der ersten Teilnahme im Landesmeisterwettbewerb, ließ Trainer Bill Shankley vor dem Anpfiff von den verletzten Spielern Gerry Byrne und Gordon Milne den gerade frisch gewonnen FA-Pokal vor dem Kop präsentieren. Die Zuschauer brüllten sich um den Verstand, und Inter verlor vor lauter Schreck 1:3.

Eine Schweigeminute für die 96 Todesopfer der Hillsborough-Stadion-Katastrophe vor 27 Jahren vor dem Anpfiff, gefolgt von ohrenbetäubendem Lärm, wird die Stimmung zusätzlich aufheizen.

Heaton kann es kaum erwarten, macht sich aber wie jeder echte Fan gleichzeitig auch Sorgen, dass der Abend emotional etwas überfrachtet werden könnte, etwas zuviel für die noch unfertige Mannschaft. “Was mir auch gar nicht nicht gefällt ist, dass ich so zuversichtlich bin”, lacht er. Dieses Problem hat man in Liverpool schon länger nicht gehabt. 

Raphael Honigstein, geboren 1973 in München, zog 1993 nach London. Dort lebt und arbeitet er als Journalist und Autor. Für SPORT1 berichtet er ab sofort in der wöchentlichen Rubrik "London Calling" über alle Themen rund um den englischen Fußball. Honigstein arbeitet unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung", das Fußballmagazin "11 Freunde", die englische Tageszeitung "The Guardian", den Sportsender "ESPN" und ist in England und Deutschland als TV-Experte tätig.