Es ist kaum vorstellbar, dass ein Mensch mehr Haargel auftragen kann als Graziano Pelle.
Graziano Pelle: Der unbekannte Tänzer
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Mit perfekt gezogenem Scheitel stand Pelle nach dem 2:0-Erfolg Italiens gegen Spanien vor den Journalisten und schwärmte von der Leistung der Squadra Azzurra.
Im feinen Zwirn sieht er aus wie das Abziehbild eines Klischee-Italieners. In Wirklichkeit passt er aber nicht in die üblichen Schubladen, in die Fußball-Profis gerne einsortiert werden.
Pelle hat einen ungewöhnlichen Weg hinter sich - und ist einer aus diesem insgesamt sehr ungewöhnlichen italienischen Kader, auf den sich die deutsche Mannschaft vor dem Viertelfinale am Samstag in Bordeaux (ab 20 Uhr LIVE in unserem Sportradio SPORT1.fm und im LIVETICKER) besonders einstellen muss.
Odysee durch die Niederungen
Denn Pelle, den sie auch schon mal den "Cristiano Ronaldo Süditaliens" genannt haben, ist eben kein Ronaldo, kein Morata oder Bale. Stürmer, mit denen sich die deutschen Abwehrspieler um Jerome Boateng und Mats Hummels in der Champions League regelmäßig messen.
Er ist ein Spätstarter, der es nach einer Odyssee durch die Niederungen des Profi-Fußballs jetzt auf die große Bühne geschafft hat. Bei seinem Jugendklub US Lecce schaffte er den Durchbruch nicht, wurde immer wieder verliehen. 2007 wurde Louis van Gaal bei der U21-EM auf ihn aufmerksam und holte ihn zu AZ Alkmaar.
Dort wurde Pelle zwar niederländischer Meister, schoss in vier Jahren aber nur 14 Tore. Zurück in Italien ging es wieder in die zweite Liga. Bis sich Ronald Koeman an den Italiener erinnerte. Bei Feyenoord Rotterdam gelang ihm der Durchbruch. Als Koeman 2014 zum FC Southampton wechselte, nahm er Stürmer Pellè gleich mit.
Entdeckt von van Gaal, gefördert von Koeman
"Er hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, hat mich sogar spielen lassen, wenn ich es wahrscheinlich gar nicht verdient hatte", erinnerte sich Pellè im Interview mit dem Guardian. Mit dem neu gewonnenen Selbstvertrauen schaffte es der 1,94-Meter-Mann bis in die Squadra Azzurra von Antonio Conte.
Dort debütierte er im stolzen Alter von 29 Jahren und schoss im Qualifikationsspiel gegen Malta gleich mal das Siegtor.
Einen leichten Stand hatte er bei den Fans zunächst trotzdem nicht immer. Denn Pellè, in seiner Jugend Turniertänzer, wurde von vielen kritisch gesehen. Seine manchmal etwas ungewöhnlichen Bewegungen provozierten Spott.
Dabei helfen sie ihm auf dem Platz sogar weiter. "Balance, Disziplin, Koordination: Ich glaube, ich kann mich für einen großen Stürmer gut bewegen", sagte er.
Lockvogel für gegnerische Abwehrspieler
Bei der EM ist der Stoßstürmer an der Seite des eher technisch veranlagten Eder gesetzt in Italiens Angriff. Mario Balotelli, vor vier Jahren noch DFB-Schreck, verfolgt die Spiele nur daheim am Fernseher.
Zwei Tore hat Pelle im Turnier bisher erzielt, je eines gegen Belgien und Spanien. Juventus ist angeblich an seiner Verpflichtung interessiert, auch der FC Everton, wo Koeman ab der kommenden Saison Trainer ist.
Noch wichtiger als seine Qualitäten als Vollstrecker ist bei der EM seine taktische Rolle im Team von Conte. Pelle ist die erste Anspielstation für die langen Bälle aus der Defensive. Die Geschmeidigkeit, mit der er diese Bälle weiterverarbeitet, lässt den Tänzer durchschimmern.
Er zieht die Abwehrspieler als Lockvogel auf sich, weicht auf den Flügel aus und schafft so Räume für die nachrückenden Kollegen. In diese Falle tappten die Spanier immer wieder.
Pelle schwärmt von Conte
Für Pelle liegt das Geheimnis des italienischen Erfolgs beim Trainer. "Er überlässt nichts dem Zufall. Wenn wir auf den Platz gehen, wissen wir alles in Perfektion", schwärmte er von Conte.
Egal welchen Plan Conte für Deutschland ausheckt, Graziano Pelle wird ein Teil davon sein. Und eines weiß der aus eigener Erfahrung: "Alles ist möglich."