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Kolumne: Raphael Honigstein über Leicester und Craig Shakespeare

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Kolumne: Raphael Honigstein über Leicester und Craig Shakespeare

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Leicester verliert seine Unschuld

Leicester City ist der letzte verbliebene Premier-League-Klub in der Champions League. SPORT1-Kolumnist Raphael Honigstein über die Underdog-Masche und den neuen Coach.
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© SPORT1/Getty Images

In der Halbzeitpause meldete der Stadionsprecher, dass einer der englischen Gäste seinen Pass verloren hatte. Ob sich Jamie Vardy angesprochen fühlte?

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Leicester Citys Stürmer brachte im Vicente Calderón das Kunststück zustande, nach 79 Minuten mit einer Abspiel-Erfolgs-Quote von null Prozent vom Platz zu gehen. Von insgesamt zwei Versuchen fand laut UEFA-Statistik tatsächlich keiner einen Nebenmann.

Niemand hatte erwartet, dass der englische Meister im Viertelfinal-Hinspiel bei Diego Simeones beinharter Ergebnismannschaft mit feinen Kombinationsspiel zum Ziel kommen würde, doch ein bisschen mehr Fußball hätte es aus Sicht der Foxes schon sein dürfen.

Leicester kam gegen Atlético Madrid kaum zum Kontern und war am Ende der Abwehrschlacht mit dem 0:1 gut bedient. Das einzige Tor des Abends war zwar einem Schiedsrichterfehler entsprungen - Referee Jonas Eriksson hatte das klare Foul von Marc Albrighton an Antoine Griezmann fälschlicherweise im Strafraum verortet - aber der Sieg der Hausherren ging trotzdem in Ordnung.

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"Wir hätten das Ergebnis vor dem Spiel unterschrieben", gab Trainer Craig Shakespeare zu, der in seinem zu engen Polyester-Polohemd so aussah, als sei er direkt vom Ballermann-Urlaub zum Dienst in der Königsklasse erschienen.

Schweiß, Teamspirit und Widerstandskraft reichten in der spanischen Hauptstadt in der Summe nicht als Erfolgsrezept, weil Simeones Truppe diese urenglischen Grunddisziplinen ebenfalls blind beherrscht - und die für den Gegner unheimlich nervige Packerei mit Momenten von Angriffskunst garnieren kann. 

Leicester schaffte es mit seinen weit geringeren Mitteln, das Viertelfinale zumindest noch "am Leben" zu halten, wie Shakespeare sagte. "Wir haben uns mental und körperlich gut aus der Affäre gezogen. Und unsere Bilanz im King-Power-Stadion ist gut. Wir können es noch schaffen."

Mannschaft, Verein und Fans wissen, dass sie so schnell nicht mehr in die Champions League kommen werden. Dementsprechend groß ist der Wille, den internationalen Teil des englischen Fußball-Märchens so lange wie möglich auszukosten. 

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Die Times berichtete, dass von 3500 mitgereisten Anhängern ein knappes Drittel am Mittwoch ohne Karten nach Madrid gekommen war; einfach, um die Atmosphäre zu genießen. Eine laute, bierselige Oben-Ohne-Minderheit fand es dabei lustig, die sportliche Auseinandersetzung auf politisches Terrain auszuweiten.

"Ihr spanischen Bastarde, Gibraltar ist unser", sang der Mob in der Innenstadt und wurde dafür mit größtmöglicher Willkür von den spanischen Polizisten vermöbelt. "Leicester ist die fußballerische Version einer Junggesellenabschiedsparty" schrieb der Daily Telegraph über diese ganz eigene Mischung aus Abenteuerreise, hemdsärmeligem Patriotismus und imaginärer Revolte gegen die Obrigkeit.

Ohne den onkelhaften Antiquitäten-Sammler Claudio Ranieri als Anführer ist die unverhofft zu Ehren gekommene Elf eine ganze Spur weniger liebenswert, aber einem Mann wie Shakespeare, der seinem Vorgesetzten vor seiner Beförderung vor acht Wochen gekonnt in den Rücken fiel, ist das natürlich völlig egal.

Sein Team setzt vor dem Rückspiel weiter auf die Underdog-Masche, und auf der Insel werden dem letzten, tapferen Vertreter der Premier League insgeheim viele die Daumen drücken. Denn Leicester steht auch für die Post-Brexit-Wunschvorstellung, es den europäischen Nachbarn noch mal so richtig zu zeigen.

Raphael Honigstein, geboren 1973 in München, zog 1993 nach London. Dort lebt und arbeitet er als Journalist und Autor. Für SPORT1 berichtet er in der wöchentlichen Rubrik "London Calling" über alle Themen rund um den englischen Fußball. Honigstein arbeitet unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung", das Fußballmagazin "11 Freunde", die englische Tageszeitung "The Guardian", den Sportsender "ESPN" und ist in England und Deutschland als TV-Experte tätig.