Aus St. Petersburg berichtet Andreas Reiners
Donnerwetter weckt Bayer auf
Roger Schmidt konnte sich nicht erinnern. Oder er wollte nicht.
Dabei hatte es in der Halbzeit bei Zenit St. Petersburg in der Kabine ordentlich gescheppert. Der Trainer von Bayer Leverkusen zog dabei alle Register, wurde laut und ließ für seine Verhältnisse ein Donnerwetter los.
Trat als Motivator auf, schwor seine Mannschaft ein, appellierte an den Kampfgeist, den unbedingten Siegeswillen.
Mit Erfolg.
Schmidt schwört Bayer ein
"Ich habe gesagt, dass wir das Spiel gewinnen können. Dafür mussten wir die individuelle Qualität von Zenit wegnehmen, diszipliniert verteidigen und einen hohen Aufwand betreiben. Darauf haben wir uns eingeschworen", sagte Schmidt und grinste breit: "Ich kann mich aber gar nicht daran erinnern, dass es laut gewesen ist."
Als der Trainer nach dem 2:1-Sieg am vierten Spieltag der Champions League in St. Petersburg schließlich über sein Team sprach, hörte man eine Mischung aus Erleichterung, Stolz und vor allem Anerkennung heraus.
Doppelpacker Son führt Bayer zum Sieg
"Das spricht für sie"
Die Erkenntnis des Abends? "Dass wir eine gute Mannschaft sind. Dass sie nach zwei nicht so guten Spielen diese Aufgabe so meistert, spricht für sie", sagte Schmidt.
Bayer war in den vergangenen Wochen ein wenig ins Straucheln geraten, vor allem spielerisch.
Keine Spur mehr von dem offensiven Gegenpressing, dem Hurra-Stil, dem ansehnlichen Angriffs-Fußball, den Schmidt erfolgreich und nahezu in Rekordzeit eingeführt hatte.
Stattdessen ließ sich die Werkself beim glücklichen Sieg im Pokal in Magdeburg und bei der Schlappe in Hamburg den Schneid abkaufen, wirkte kraft- und ideenlos.
Und scheiterte auf seltsame Art und Weise an den eigenen Ansprüchen.
Nichts für Ästheten
Keine Frage, auch das Spiel beim russischen Vizemeister war nicht wirklich etwas für Ästheten. Viele Fehlpässe, Abstimmungsfehler, kein Zugriff im Mittelfeld und insgesamt mehr Krampf als kreative Kickerei.
Aber vor allem auch Kampf. Bayer biss sich in das Spiel zurück, bekämpfte die eigene Unsicherheit und Hektik. Und die jüngsten Verletzungsprobleme, denn die personelle Misere mit zahlreichen Ausfällen, vor allem im defensiven Bereich, machte sich deutlich bemerkbar.
Stellvertretend für den unerschütterlichen Siegeswillen, den Kampfgeist und die Robustheit standen Doppel-Torschütze Heung-Min Son und Emir Spahic.
Son lag nach Abpfiff von Krämpfen geplagt auf dem Platz, Spahic hatte sich während des Spiels tackern lassen.
Hatte Leverkusen in der Vergangenheit auch international oftmals genau dann kollektiv versagt, wenn es darauf ankam, ist die Werkself unter Schmidt offenbar wesentlich gefestigter. Womöglich endgültig raus aus der Komfortzone. Gereifter.
Spahic eine Maschine
"Wir wussten schon immer, dass Emir eine Maschine ist. Jetzt zeigt sich eben, ob wir Männer sind. Die, die noch da sind, müssen durchhalten", sagte Torhüter Bernd Leno.
Und wenn es mit spielerischen Mitteln nicht geht, braucht man manchmal einen Trick. Einen Geniestreich. Wie eine einstudierte Freistoßvariante zum Beispiel.
Und als Schmidt über den Türöffner des Abends reden sollte, gerät er regelrecht ins Schwärmen.
Ein Freistoß wie gemalt
Was war passiert? Hakan Calhanoglu legte sich den Ball gute 30 Meter vor dem gegnerischen Tor zurecht, wollte schießen. Ein kurzer Blick und eine kurze Absprache zwischen dem Türken, Karim Bellarabi und Son reichte.
Bellarabi lief aus dem Rücken der Abwehr und dem Abseits in Richtung Calhanoglu, der dem Nationalspieler den Ball maßgerecht auflegte.
Bellarabi ließ abtropfen und Son schlenzte den Ball aus 20 Metern ins Tor. Ausgeführt wie auf der Playstation.
"Sie haben es gemacht, wie wir es aufgezeichnet haben", sagte Schmidt und grinste. Ein Tor wie gemalt also.
Leverkusen fast durch
Und eine Ausgangssituation, die besser kaum sein könnte.
Durch den dritten Sieg in Folge verteidigte Bayer (neun Punkte) in der Gruppe C seine Tabellenführung und kann von den drittplatzierten Russen (vier) kaum noch von einem der ersten beiden Plätze verdrängt werden. (DATENCENTER: Ergebnisse und Tabelle)
Bereits mit einem Remis gegen den Zweiten AS Monaco (fünf) am nächsten Spieltag kann Leverkusen sogar vorzeitig den Gruppensieg und damit auch den Einzug in die K.o.-Runde perfekt machen.
Taktieren will Schmidt nun aber nicht. "Ich glaube nicht, dass neun Punkte reichen werden. Wenn wir unser nächstes Spiel gewinnen, sind wir definitiv Erster. Und das wollen wir auch werden", kündigte er an.
Notfalls wieder mit einem Donnerwetter.