Vom FC Schalke berichtet Andreas Reiners
Boateng als Um- statt Mitreißer
Kevin-Prince Boateng schweigt. Sogar in den sozialen Netzwerken, wo er sich sonst nur allzu gerne auslässt.
Es herrscht Funkstille. Ein selbst auferlegtes Redeverbot? Nun, zumindest sitzt der Schalker Führungsspieler seinen Fauxpas derzeit non-verbal aus. Umgeht so den zwangsläufigen Fragen nach Führungspersönlichkeit und Vorbildfunktion. Und geht der Kritik komplett aus dem Weg.
Denn der vermeintliche Leader hatte seinem Klub beim 2:2 gegen Eintracht Frankfurt einen Bärendienst erwiesen: Erst zwei Fehler vor den Gegentoren, dann eine Gelb-Rote Karte. Eine mit Ansage.
"Er muss weiter Druck ausüben"
Horst Heldt startete schließlich den Versuch einer Erklärung. Es blieb bei einem Versuch. Einem etwas umständlichen.
"Kevin hat die ganze Zeit die Arme nach oben getan und so allen signalisiert, dass er keinen Körperkontakt zum Spieler haben will. Jeder, der Fußball spielt, weiß, dass dies ein klares Zeichen dafür ist, dass er weiß, dass er eine Gelbe Karte bekommen hat und er dem Spieler nicht zu nahe kommen will. Ich kann auch nicht verlangen, dass er da stehen bleibt. Er muss weiter Druck ausüben", sagte der Schalker Manager.
Man könne über den Platzverweis diskutieren. "Ich habe außerdem aus der Kabine gehört, dass der Gefoulte gesagt hat, dass es keine Gelbe Karte war. Das hat der Schiri offenbar nicht mitgekriegt."
Auf und Ab
Ob nun berechtigt oder fehlendes Fingerspitzengefühl: In der Champions League hatte Boateng trotz eines Schlags auf den Knöchel noch auf die Zähne gebissen. Sich durchgekämpft. Und so die Mannschaft mitgerissen. Die Rolle so erfüllt, wie man sich das auf Schalke von ihm wünscht.
Gegen Frankfurt zeigte er sein anderes Gesicht. Das in Gelsenkirchen eigentlich niemand sehen will. Bisweilen fahrig. Mit vielen Fehlern. Grundsätzlich mit Kampfgeist, aber zumeist auch kopflos.
Und dem Blackout als i-Tüpfelchen.
Auch Draxler verliert die Nerven
Ähnlich dilettantisch hatte sich wenig später auch Julian Draxler zu einer Tätlichkeit hinreißen lassen. Auch Draxler sah ausgerechnet an seinem 21. Geburtstag Rot und muss nun zwei Spiele aussetzen (NEWS: Draxler fehlt auch im Derby).
Ein weiterer Leistungsträger und Führungsspieler, der die Nerven verlor. Und nach dem Spiel ebenfalls in Schweigen verfiel.
Die Krise mit nunmehr sechs sieglosen Spielen und dem schlechtesten Saisonstart seit 47 Jahren hat Spuren hinterlassen
Traditionell im Umfeld, aber offenbar auch innerhalb der Mannschaft. Denn zu den spielerischen Problemen kommen plötzlich auch disziplinarische.
Kritik nur zwischen den Zeilen
Kritik an Boateng und Draxler? Gab es von den Kollegen, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen. Die meisten Mitspieler verwiesen bei der Frage nach dem taktischen Foul ihres Anführers und der Tätlichkeit des Jungstars darauf, die Szenen nicht wirklich gesehen zu haben. Andere versuchten, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen.
"Ich weiß nicht, ob es ein Foul war. Er hebt den Arm und bleibt extra vom Gegenspieler weg. Zudem nimmt er ihm keine Torchance, weil ich direkt davor stehe", sagte Roman Neustädter. Nur Dennis Aogo sprach aus, was im Grunde alle dachten: "Wir schaden uns am Ende selbst. Denn in Unterzahl konnten wir nicht mehr viel Druck ausüben."
Seit Saisonbeginn ist es das gleiche Bild: Funktioniert Boateng, funktioniert zumeist auch Schalke.
Steht Boateng neben sich, geraten die Königsblauen ins Stolpern. Zu Saisonbeginn nicht fit und im Mittelpunkt der Kritik, hatte er bereits früh eine Denk- und Schaffenspause verordnet bekommen.
Das Problem: Bis auf London hat Boateng immer noch nicht in die Spur gefunden. Und Schalke auch nicht. Die zarte Aufbruchstimmung nach dem 1:1 beim FC Chelsea? Innerhalb von nur 90 Minuten dem tristen Alltag gewichen.
Mittendrin: Kevin-Prince Boateng, zu oft Mitläufer statt Mitreißer. Der 27-Jährige, für die Rolle des Leaders geholt, steht somit zu einem großen Teil sinnbildlich für die königsblaue Krise. Denn zu selten erfüllte er bislang die ihm zugedachte Rolle, die er auch so gerne für sich in Anspruch nimmt.
So bekommen seit dem peinlichen Pokalaus in Dresden Trainer Jens Keller und sein Anführer die Kritik abwechselnd, gerne auch im Doppelpack ab. "Ich habe keine Lust, über einzelne Spieler zu reden. Es haben elf Spieler auf dem Platz gestanden", sagte Keller nach dem Remis gegen die Eintracht nur.
Keller verkniff sich die Kritik. Dabei geht die Krise auf Schalke auch Hand in Hand mit den inzwischen chronischen Personalproblemen.
Immerhin neun Spieler fielen gegen die Eintracht aus. Dank Draxler und Boateng sind es am Dienstag bei Werder Bremen (ab 19.30 Uhr LIVE auf SPORT1.fm und im LIVE-TICKER) zwei mehr.
Und das zur Unzeit.