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Stephan Weidner von der Band Böhse Onkelz im SPORT1-Interview

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Stephan Weidner von der Band Böhse Onkelz im SPORT1-Interview

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"Da ist der Weg zur Gewalt nicht weit"

Stephan Weidner ist der Kopf der Band "Böhse Onkelz" und früherer Hooligan. Bei SPORT1 spricht der 51-Jährige über Gewalt im Fußball, Ultras und Kommerzvereine.
Stephan Weidner ist der Frontmann der "Böhsen Onkelz"
Stephan Weidner ist der Frontmann der "Böhsen Onkelz"
© SPORT1
Reinhard Franke
Reinhard Franke

Gewalt im Fußball? Ein ständig präsentes Thema, wie aktuell die Pyro-Attacke auf den russischen Nationaltorhüter Igor Akinfejew zeigt.

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SPORT1 startete am Dienstag die dreiteilige Serie "Die Angst spielt mit".

Einer, der früher Extrem-Fan war und bis heute mit Eintracht Frankfurt fiebert, ist Stephan Weidner. Der 51-Jährige ist Chef der kontrovers diskutierten Band "Böhse Onkelz".

In ihren Anfangsjahren geriet diese wegen ihrer Nähe zur rechten Szene sogar ins Visier der Justiz. Inzwischen ist die Band rehabilitiert, hat Konzerte gegen Rechts gegeben und die Einnahmen an Opfer rechter Gewalt gespendet. 

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Im zweiten Teil der Serie spricht Weidner im SPORT1-Interview über das gestiegene Gewaltpotenzial im Fußball, Pyrotechnik, Problem-Fans und Retorten-Klubs.

SPORT1: Herr Weidner, von den "Böhsen Onkelz" gibt es den Song "Fußball und Gewalt". Sie waren früher kein zahmer Junge. Wie beurteilen Sie das gestiegene Gewaltpotenzial im Fußball?

Reinhard Franke und Stephan Weidner
Reinhard Franke und Stephan Weidner

Stephan Weidner: Ich war auch mal ein Teil des Ganzen und habe alle Evolutionsstufen eines Unterschichten-Fußballfans mitgemacht. Als ganz kleiner Junge stand ich in der Straßenbahn und hatte Angst vor den krassen Fußballfans und den üblen Sprüchen. Später war ich selber einer davon. Bei emotionalen Spielen steigt nun mal der Adrenalin-Spiegel und der Weg zur Gewalt ist nicht weit. Als junger Mensch faszinierte mich das Spiel mit der Angst, heute gehe ich jedem zu vermeidenden Streit aus dem Weg. Ich glaube, dass es - wie bei mir - in den meisten Fällen eine Lebensphase ist: Es gibt Momente im Leben eines Jungen, eines Mannes, in denen man sich messen will. Die einen machen das sportlich, die anderen während einer Schlägerei auf der Wiese oder im Wald. Ich konnte das immer akzeptieren, solange beide das wollen. Was ich nicht akzeptieren kann, ist Gewalt an Unschuldigen. Wenn da zwei Hooligan-Gruppen aufeinander zu rennen und sich den Schädel einschlagen wollen, sollen sie das von mir aus tun.

SPORT1: Was war damals der Grund, als Hooligan auszusteigen?

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Weidner: Das ist doch eine ganz normale Entwicklung, die jeder durchläuft. Wenn sich jemand über 30 hinstellt und den wilden Mann spielt, dann hat er nichts dazugelernt oder keine anderen wichtigen Dinge im Leben erfahren dürfen.

Bereits nach 20 Sekunden wird Russlands Keeper Igor Akinfejew von einer Leuchtrakete am Kopf getroffen und bricht daraufhin zusammen
In der 66. Minute wird erneut ein russischer Spieler von einem Gegenstand getroffen, es kommt zu einem Handgemenge zwischen Spielern beider Teams sowie zu Ausschreitungen auf den Rängen. Ausschlaggebend ist ein Elfmeter-Pfiff Aytekins zugunsten der Russen, für die Roman Schirokow aber vergibt. Der Referee bricht die Begegnung daraufhin beim Stand vom 0:0 ab. SPORT1 blickt auf die größten Skandale bei Länderspielen zurück
Die "Fliegende Flagge" von Belgrad verwandelt das EM-Qualifikationsspiel zwischen Serbien und Albanien zu einem Skandalspiel. Eine Drohne mit der  Flagge Groß-Albaniens fliegt über das Spielfeld, der für Freiburg spielende Serbe Stefan Mitrovic holt die Drohne schließlich auf den Boden
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Die größten Fanskandale bei Länderspielen

SPORT1: Ihr Sohn Elvis ist 15 und damit in dem Alter, um Ultra oder Hooligan zu werden. Was würden Sie ihm sagen?

Weidner: Die Frage stellt sich nicht. Er ist zwar in Frankfurt geboren, wäre also prädestiniert, Eintracht-Fan zu werden. Aber er interessiert sich mehr für Musik und Mädchen als für Fußball und ist außerdem schlauer als ich es damals war (lacht). Er ist entschuldigt, da er nicht in Frankfurt, ja nicht mal in Deutschland groß geworden ist. Bei aller Fürsorge, du kannst Kindern in dem Alter nichts verbieten. Wir sind uns doch im Klaren darüber, dass alles, was krass und verboten ist, magisch anziehend ist. Wenn ich jetzt meine tradierten Vater-Parolen vom Stapel lasse, dann nimmt mein Sohn mich doch nicht ernst. Er kennt meine Historie. Dementsprechend fühle ich mich nicht dazu berufen, den besorgten Vater zu geben, auch wenn ich der paradoxerweise bin. Nein, ich tendiere dazu, ihm die lange Leine zu geben. Er muss lernen, dass es weh tut, wenn er gegen die Wand läuft. Erfahrungen kann man nicht lehren, die muss er machen. Aber ich bin gerne lebenslang Backup und die Rückendeckung für ihn, wenn er mich braucht.

SPORT1: Wie stehen Sie den Ultras gegenüber?

Weidner: Ultras kann man gut finden oder nicht. Selbst ich bin da hin- und hergerissen. Ich kann Intention und Ansatz der Ultras durchaus nachvollziehen. Aber ihren starren Strukturen, festen Hierarchien und ihrer Meinungsdiktatur stehe ich extrem skeptisch gegenüber. Irgendwie stehen da mehr die eigenen Aktionen im Vordergrund als der Fußball.

SPORT1: Gerade Pyrotechnik sorgt immer wieder für Diskussionsstoff.

Stephan Weidner: Ich finde Pyro eigentlich ganz geil, solange niemand verletzt wird. Wenn alles im Stadion nur noch gesittet zugeht und ganz zahm wird, können wir den Laden gleich zumachen. Fußball ist ein Männersport und manchmal eben schön prollig. Wir wollen uns gebärden, wir wollen ein Bier trinken, lachen, pöbeln, heulen. Und manche wollen eben mal einen Kracher loslassen. Wenn der Besuch im Stadion zum Kindergeburtstag wird, ist das in meinen Augen kontraproduktiv. Ein bisschen gefährlich darf Fußball ruhig sein. Bei den Emotionen und der Menge an Herzblut finde ich das ganz normal. Wollen wir zu Haustieren mutieren, die nur raus dürfen, wenn ihre Herrchen sie lassen? Ab und zu muss das Tier von der Leine. Schlägereien muss ich nicht haben, aber alles andere gehört zum Fußball dazu.

SPORT1: Ein anderes Problem ist die Kommerzialisierung des Fußballs. Wie sehen Sie das?

Weidner: Ich sehe das natürlich kritisch. Überall, wo Red Bull, VW oder Bayer draufsteht, ein Scheich oder ein Oligarch dahinter steht, verlieren Vereine meine Sympathie. Was wäre, wenn bei der Eintracht so ein Mann oder Konzern daherkäme? Ich weiß es nicht. Klar wünschen wir in uns Frankfurt europäischen Fußball und ein Spitzenteam im oberen Drittel der Bundesliga, aber so? Ich weiß, man wird diesen Trend nicht aufhalten können, aber gut finden muss ich das nicht. Fußball ist für mich Vereinsarbeit, Liebe zur Region, Tradition und Herzblut. Mutter, Vater, Fußballverein. Einen Fußballklub sucht man sich nicht aus und Erfolg sollte man sich nicht erkaufen können, den muss man sich erarbeiten und verdienen. Entweder man schafft es, erfolgreich zu sein oder eben nicht. Im schlimmsten Fall geht man mit seinem Verein durch dick und dünn, steigt mit ihm ab und wieder auf und wieder ab. Ich hatte mit der Eintracht eine Menge Spaß in der Zweiten Liga. Da wird auch klasse Fußball gespielt. Die Liga ist nicht wirklich entscheidend, wenn man sein Herzblut einem Verein geschenkt hat.

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SPORT1: Sie haben es schon angesprochen: Für viele ist RB Leipzig ein Feindbild. Für Sie auch?

Weidner: Nein. Vielleicht, weil ich Leute aus dem Umfeld des Vereins kenne. Ich sehe das nicht ganz so extrem. Natürlich darf man sich darüber beklagen, wenn Klubs mit viel Geld in den Ligen durchmarschieren, während mancher Traditionsverein täglich ums Überleben kämpfen muss. Das ist ein Reibungspunkt. Ich kann das emotional total nachvollziehen. Bevor es Bayer, VW, Red Bull und andere milliardenschwere Investoren gab, waren die Bayern immer der Hass-Verein schlechthin. Alles, was erfolgreich wird, steht in der Kritik der anderen. Damit müssen Vereine wie Hoffenheim, Ingolstadt, Leipzig, Wolfsburg und Co. leben. Die kaufen alles weg, was nicht schnell genug weglaufen kann. Vereine machen tolle Jugendarbeit und werden dann ihrer Talente beraubt. Es lässt sich nicht verhindern, dass im Fußball große Investoren einsteigen. Sympathien genießen diese Vereine bei mir wenig bis keine. Hassen muss ich sie deswegen aber nicht. Menschen brauchen eben ihre Feindbilder. So ist das im Fußball und im Leben.

SPORT1: Sie sind eingefleischter Fan von Eintracht Frankfurt. Wie zufrieden Sie mit der aktuellen Saison?

Weidner: Ich bin sehr zufrieden. Der Verein hat mit Thomas Schaaf einen wirklich guten Trainer geholt. Wir waren alle in großer Sorge, wer da nach Armin Veh kommen würde. All die Trainer, die anfänglich im Gespräch waren, haben uns den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Ich weiß nicht, ob jeder vom Schaaf überzeugt war, aber ich mochte den in Bremen schon sehr. Ich mag seine ruhige Art, finde er hat eine unheimlich gute Ausstrahlung und ich mag seinen trockenen Humor. Und natürlich er ist ein fantastischer Trainer, der bei Werder tolle Erfolge feiern durfte und das mit der Eintracht hoffentlich noch tut. Die Eintracht im sicheren Mittelfeld zu platzieren, ist ordentlich. Nach oben wäre noch so einiges möglich gewesen, aber wir stellen uns auswärts einfach zu dämlich an. Gerade gegen die Vereine die tabellarisch hinter uns liegen.  Das eine oder andere Abwehrloch dürften wir gerne mal stopfen, aber ansonsten sind Spiele mit Eintracht Beteiligung immer ein Riesen-Spektakel mit vielen Toren. Wir können uns also nicht beschweren.

SPORT1: Sie haben sicher immer weniger Zeit, um Ihre Eintracht zu sehen. Stehen Sie eigentlich noch beim harten Kern, wenn Sie im Stadion sind?

Weidner: In jungen Jahren natürlich, aber heute geht das nicht mehr. Meine letzten Versuche, im Fanblock zu stehen oder zu sitzen scheiterten daran, dass ich vor lauter Autogrammwünschen und Handy-Fotos machen von den Spielen nichts mehr mitbekam. Obwohl ich im Ausland lebe, habe ich bis vor kurzem für jede Saison eine Dauerkarte gehabt. 90 Prozent der Eintracht-Spiele sehe ich aber inzwischen leider nur im Fernsehen. Aber ich verpasse keines.